01.12.2005, 11:00
Akt 6
So ich dir
So ich dir
Ungeduldig schaut er aus dem Zugfenster, Städte und Dörfer, Wiesen und Wälder ziehen an ihm vorbei. Tun es in Zeitlupe, obwohl der Zug mit mindestens 100 Stundenkilometern durch die Landschaft fährt. Er weià selbst nicht warum er sich darauf eingelassen hat. Er weià ja nicht einmal, ob die Adresse auf dem Zettel stimmt. Irgendein Betrunkener könnte ihm den Wisch vor dem Chagall unter den Scheibenwischer geklemmt haben. Ein blöder Vollidiot, der sich einen bösen Scherz erlaubt hat. Gleichzeitig betet er, dass sie stimmt, er muss Emily einfach ein letztes Mal sehen. Auch wenn er nicht weiÃ, was er überhaupt bei ihr will. In drei Wochen wird er schlieÃlich ein verheirateter Mann sein, verdammt, was will er da noch bei Emily? Was will er bei ihr, obwohl er sie eigentlich nicht vögeln will? Natürlich will er sie vögeln und wie er will, aber da ist noch mehr. Da ist mehr das er vermisst hat, auch wenn er keine Ahnung hat, was. Es ist einfach so. Er vermisst sie. Eine kleine Tänzerin, ein billiges Flittchen und er vermisst sie auch noch. Der Zug kommt mit einem Ruck zum Stehen und er sieht aus dem Fenster. Ein unscheinbares Schild in der Dämmerung zeigt an, dass er in einem kleinen Ort namens Gmünd ist. Richard lehnt sich zurück und wartet darauf, dass der Zug endlich weiterfährt, doch nichts passiert. Die Menschen um ihn herum steigen nach und nach aus, bis er schlieÃlich als Einziger im Abteil zurückbleibt. Er denkt sich noch, dass Gmünd wirklich eine Attraktion zu sein scheint, als er plötzlich von einem Schaffner angesprochen wird.
"Entschuldigens", murmelt der Kerl in Uniform. "Aber wir hom hiar Endschdation."
"Entschuldigen sie, aber mir hat man gesagt, dass dieser Zug nach Philadelphia fährt", protestiert Richard, er hätte das verdammte Flugzeug nehmen sollen.
"Na, des hier is Gmünd. Hiar is Endschdation", sagt der Schaffner und zuckt gleichgültig mit den Schultern. "Wenns dann bidde auschdaigen könntn!?"
"Ich will aber nicht", er wirft einen prüfenden Blick auf das Schild in der Dämmerung. "Nach Gmünd, sondern nach Philadelphia."
"Na, des is ja ganz woanders, da sans im folschn Zug glandet!"
"Wie kann ich im falschen Zug sein, wo man mir doch in New York gesagt hat, dieser Zug würde nach Philadelphia fahren?"
"Obr Filadelfia is jo in Pänsilvänia, Gmünd is obr in Wörgschinia!"
"Virginia? Ich bin in Virginia?!", ruft er entsetzt aus.
"Na sicher, Wörgschinia. Gmünd in Wörgschinia. Wobais ach noch Gmünds wo aners gibd, abr dees hier is Gmünd in Wörgschinia."
"Und wie um alles in der Welt komme ich jetzt nach Philadelphia?"
"Na da müssns wardn."
"Wardn?", wiederholt er. "Wardn? Auf was denn bitte schön?"
"Jo bis morgn friah der näschde Zuch nach Ritschmond gehd, da kennens dann umschdaign in nen Zug noch Filiadelfia."
"Hören sie Mister -", er versucht das Namensschild auf dem Etikett des Beamten zu entziffern. "Hören sie Mr. Löffler", ruft er aus. "Ich habe keine Zeit bis morgen früh, ich muss nach Philadelphia und zwar heute noch!"
"Ja aber des hiar is jo Gmünd in Wörgschinia!"
"Na das sagten sie bereits, aber ich - ", Richard holt tief Luft. "Hören sie Mr. Löffler. Pius", verwendet er den vertraulicheren Vornamen auf dem Namenschild. "Pius, bitte. Es muss doch eine Möglichkeit geben heute noch nach Philadelphia zu kommen. Wirklich, es ist sehr wichtig."
"Ned in Gmünd, do missns bis moargn woardan, so läds mir duad."
"Aber -"
"Härns jungr Bursch, I hob a ned ewich Zääd, zhaus word dr Digger auf mich, wenn's dann bidde ausstaign keendn!?"
Richard schlieÃt die Augen, atmet erneut tief durch und erhebt sich aus einem Sitz. Das Flugzeug, weshalb konnte er nicht einfach das verdammte Flugzeug nehmen? Aber nein, er musste natürlich den Zug nehmen und jetzt ist er in Gmünd, wo auch immer das sein soll, er hat keine Ahnung. Wörgschinia, hervorragend. Trotzdem lässt er sich ohne weitere Widerworte von Pius Löffler aus dem Zug geleiten, fragt sich, wo er wohl die Nacht verbringen soll in diesem Kaff. Dem Schaffner scheint das egal zu sein.
"Sogns", ist das Einzige, was er noch sagt. "Sie hom ned zufällich n' paar Batterin dabei?" Nachdem Richard das verneint hat, verschwindet Löffler auf Nimmerwidersehen in der Dunkelheit. Auch der Zug setzt sich langsam wieder in Bewegung, verschwindet ebenfalls im Nirgendwo, lässt Richard einsam und verlassen auf dem Bahnsteig zurück.
Er macht es sich auf einer der Holzbänke auf dem Bahnsteig bequem, zumindest so bequem es in der doch Recht kühlen Septembernacht geht. Obwohl er hundemüde ist, kann er nicht einschlafen. Denkt an Pennilyn, denkt an Emily. Weià nicht was er denken soll und ist unendlich erleichtert, als in den frühen Morgenstunden endlich der verdammte Zug nach Richmond eintrifft. Er nimmt ihn, ärgert sich höllisch darüber, dass er noch ein neues Zugticket nachlösen muss. Dabei hat er doch bis nach Philadelphia bezahlt, man hat ihm doch in New York gesagt der blöde Zug würde nach Philadelphia fahren. Jedenfalls, er zahlt und steigt um. Erreicht schlieÃlich völlig zerschlagen Philadelphia. Kommt nach weiteren Umwegen letztendlich an Emilys Haus an, zumindest sagt der zerknitterte Zettel in seiner Hand, dass es ihre Adresse sein muss. Richard zögert einen Moment ehe er klopft, er weià trotz all der Strapazen noch immer nicht, was er hier soll. Was er hier will. Dennoch klopft er. Ein Mal. Zwei Mal. Es dauert einen Moment, ehe sie ihm die Tür öffnet und sein Herz einen irrationalen Sprung macht. Emily ihm die Tür öffnet und ihr Gesicht einen vollkommen perplexen Ausdruck annimmt. Perplex und dennoch das Schönste, was er jemals gesehen hat. Vor allem als nach der ersten Schrecksekunde ein warmes Lächeln über ihr Gesicht huscht.
Ohne ein Wort fällt sie ihm um den Hals, ihre Zunge prallt gegen seine Zähne, erforscht seine Mundhöhle, streift seinen Gaumen, während sie ihn in das Haus zieht, die Tür mit einer schnellen Bewegung hinter ihnen schlieÃt. Er macht sich nicht die Mühe sich umzuschauen, schiebt sie durch den Flur, lässt sich von ihr in das Schafzimmer dirigieren. Sie streift ihre Schuhe auf den letzten Metern zum Bett ab, küsst ihn noch immer. Es fühlt sich gut an, ist in echt genauso schön wie in seiner Erinnerung, denkt er, tausende elektrischer Teilchen scheinen durch ihn hindurchzuwabern. Sie landen auf dem Bett, er gleitet mit seinen Händen ihren Körper entlang, versichert sich, dass wirklich noch alles so ist, wie er es in Erinnerung hat. Er stellt fest, dass sie abgenommen hat, ihre Rippen stechen stärker hervor. Spitze Ecken unter seiner Hand, unterbrochen von den weichen Rundungen ihrer Brüste. Er wirft sie auf den Rücken und setzt sich auf ihre Oberschenkel, beginnt ihre Bluse aufzuknöpfen. Sie beobachtet ihn mit glühenden Wangen, lässt sich von ihm ausziehen, hebt nur dann und wann hilfsbereit Rücken und Hüfte an, um es ihm zu ermöglichen den BH zu öffnen, ihre Hosen von ihren Beinen zu streifen, bis sie schlieÃlich völlig nackt unter ihm liegt. Wieder erforscht er mit seinen Händen ihren Körper, warm und schön, begehrenswert. Emilys Atem wird unter seinen Berührungen schneller, verwandelt sich in ein Keuchen, das sie mit einem gierigen Kuss erstickt als er seine Hand zwischen ihre Beine legt, auch diesen Teil ihres Körpers ausgiebig erkundet. Sie windet sich bald stöhnend unter ihm, er beschlieÃt die eigene Erregung vorerst zu ignorieren und sie kommen zu lassen. Er will sich ganz auf ihr Gesicht konzentrieren können, kann sich nicht satt sehen an den geröteten Wangen, den fiebrig glänzenden Augen, fährt liebevoll ihre Wangenknochen entlang, zeichnet die Ränder ihres Mundes nach. Sie wirft den Kopf in den Nacken, ein Zittern durchströmt sie, ein wohliges Stöhnen dringt über ihre leicht geöffneten Lippen, sie bäumt sich ihm entgegen, dann fällt sie schwer zurück in die Lacken. Er streicht ihr über die Wange, sie neigt den Kopf küsst seine Hand, legt ihr Gesicht in sie und schlieÃt die Augen. Schweigend verharren sie so, er kann nicht sagen wie lange, es ist auch nicht von Bedeutung. Irgendwann spricht sie die ersten Worte dieser Begegnung, sieht ihn dabei mit einem schwachen Lächeln an. "Ich habe dich vermisst", erklärt sie leise, ihre Stimme zittert ein wenig. "Ich habe dich so vermisst, Richard."
Mit einem Schlag ist alles kaputt, er reiÃt sie von ihr los. "Was soll das?", fährt er sie ungehalten an, ihr Lächeln gefriert und sie richtet sich auf. Tut dabei etwas, was sie noch nie zuvor getan hat, greift nach der Decke und verhüllt ihren nackten Körper vor seinen Blicken. "Sag du es mir", fordert sie ihn auf. "Sag mir, weshalb du hier bist, wenn du mich nicht vermisst hast."
"Weil ich -", auf die Schnelle fällt ihm kein Grund ein, zumindest kein plausibler. "Pennilyn und ich heiraten in drei Wochen", sagt er daher.
"Und um mir das zu sagen, bist du den ganzen Weg nach Philadelphia gefahren? Um mir das zu sagen, musstest du mir erst die Zunge in den Hals stecken?"
"Du hast mir deine zuerst in den Hals gesteckt, soviel steht fest."
"Hau bloà ab, Richard!", er hat sie noch nie wirklich Schreien gehört, starrt sie verdutzt an. "Verschwinde!", wiederholt sie ihre Forderung ungleich lauter, die gesamte Nachbarschaft wird es mitbekommen, wundervoll.
"Wenn du das willst", zischt er.
"Und wie ich das will!", sie springt auf, verheddert sich dabei in der Decke. Wäre jetzt nicht der denkbar ungünstigste Zeitpunkt dafür, er würde lachen.
Sie hastet aus dem Schlafzimmer und er folgt ihr, sieht wie sie die Haustür aufreiÃt, ihre Wangen glühen förmlich, funkelnde Augen. Der Zorn steht ihr gut, auch wenn er nicht weiÃ, weshalb sie zornig ist. Es gibt doch keinen Grund. Sie selbst hat immer gesagt, dass es nur um Sex geht, da kann sie ihm doch jetzt nicht sagen, dass sie ihn vermisst. "Em -"
"Hau bloà ab und lass dich hier nie wieder blicken", würgt sie ihn ab und ohne sie weiter zu beachten geht er aus dem Haus, er kann nicht, er kann doch nicht. "Ich will dich nie wieder sehen", ruft sie ihm hinterher. "Hast du gehört, Arschloch? Nie wieder!" Er blickt sich nicht um, weiÃ, dass er sie dann nur weinen sehen würde, zumindest klingt ihre Stimme verdammt danach und er hat keine Lust sie als verheultes Wrack in Erinnerung zu behalten.
ATN: Danke für das professionelle Feedback:biggrin: