Teil 9
Ich öffnete die Beifahrertür, sah mich um und stellte fest, dass hier ebenso mieses Wetter war wie in Forks. Kein Sonnenstrahl war am Himmel zu sehen, nur Wolken und tristes grau.
,,Suchst du was?“ Emmett war neben mich getreten und sah mich fragend an.
Ich schüttelte den Kopf. ,,Nein, nur das Wetter ist ebenso schlecht wie in Forks. Nicht mal ein kleiner Sonnenstrahl.“, antwortete ich.
Emmett runzelte die Stirn. ,,Wenn es so wäre, wären wir heute sicher nicht hier, Bella.“
Nun war ich es, die ihm einen fragenden Blick zuwarf. ,,Wieso?“
Emmett begann zu schmunzeln. ,,Hast du dich noch nie im Sonnenlicht gesehen?“
Ich schüttelte verneinend den Kopf. Nein, hatte ich wirklich nicht. Emmetts Schmunzeln wurde zu einem Grinsen. ,,Das solltest du bei Gelegenheit mal nachholen, Bella.“
Er sah zu Rose und den anderen, die sich neben dem Jeep versammelt hatten. ,,Wollen wir?“
Alice grinste, kam auf mich zu und nahm meine Hand. ,,Das wird toll.“
Ich konnte ihre Freude noch nicht wirklich teilen. Ãberall um uns herum waren Menschen und ich wusste wirklich nicht, wie das alles werden würde. Ich war lange nicht mehr unter so vielen Menschen gewesen. Lange hatte ich jedoch nicht Zeit darüber nachzudenken, denn nun kamen auch Jasper, Rose und Edward zu uns.
,,Dann lasst uns gehen!“ Rose ergriff Emmetts Hand und ging voraus. Wir folgten ihnen sofort.
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Gleich im ersten Geschäft war Alice kaum noch zu stoppen. Sie schob mich vor sich her, blieb an jedem Kleiderständer stehen, sah mich an und suchte etwas heraus.
Mir war schnell klar, dass ich nicht viel mitspracherecht hatte. Ich sah mich hilflos um und mein Blick traf sofort auf Edward, der mich mitfühlend anlächelte.
Ich erwiderte sein Lächeln kurz. Trotz unseres Schweigens während der Autofahrt schien er nicht böse zu sein.
,,Los, probier das schon mal an.“ Alice Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Ich sah sie an. Sie hielt mir einen Berg von Klamotten hin und ich musste zugeben, auf den ersten Blick waren wirklich Sachen dabei die mir gefielen. Ich nickte, drehte mich um und ging in Richtung Umkleidekabine.
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Zwei Stunden und zich Einkaufstüten später, waren wir nun in dem Geschäft, von dem Alice meinte, dass es mit am wichtigsten von allen war. Ein schickes kleines Dessousgeschäft.
Rose und Emmett waren sofort grinsend von dannen gezogen, während Jasper und Edward sich entschlossen hatten vollkommen drauÃen zu bleiben und sich in dem Buch und CD Laden umzusehen, der direkt neben dem Geschäft lag.
Ich war froh darüber, dass Edward nicht in der Nähe war. Er machte mich so schon nervös und ihn dabei zu haben, während ich mir Unterwäsche aussuchte, würde die Sache nicht besser machen.
,,Der ist doch toll.“ Alice hielt mir einen schwarzen, mit Spitzenbesetzten BH entgegen. Die junge Vampirin hatte in den letzten Stunden wirklich Geschmack bewiesen. Die meisten Klamotten die sie mir ausgesucht hatte, hatten mir gefallen.
,,Ja, der ist hübsch!“, stimmte ich zu und mein Blick fiel auf das Preisschild. 100$!
Ich schluckte. ,,Alice, der ist viel zu teuer.“, murmelte ich, doch Alice lachte bloÃ.
,,Bella! Ich hab dir vorhin schon gesagt, dass Geld keine Rolle spielt.“, erklärte sie mir und sie hatte recht.
Als ich den Preis gesehen hatte, den Alice für meine Klamotten bezahlt hatte, war mir die Kinnlade heruntergefallen. Fast 500$ hatte sie nur im ersten Laden für mich ausgegeben.
Ich hatte ihr gesagt, dass ich doch überhaupt kein Geld hatte und mir das alles nicht leisten konnte, doch sie hatte einfach nur gelächelt und gesagt, ich solle mir darum keine Sorgen machen.
Sie nahm meine Hand. ,,Wir sind eine Familie, Bella. Wir haben in den letzten Jahrhunderten einiges an Geld angelegt, also mach dir darum keine Sorgen. Du hast Geld. Alles was uns gehört, gehört jetzt auch dir und du brauchst wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben, oder dir Sorgen machen, ok?“
Ich nickte schwach. ,,Ok!“ Ihre Stimme lieà keinen Zweifel daran, dass sie es ernst meinte. Ich sah zu Boden und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Es gab noch einiges an das ich mich gewöhnen musste, hauptsächlich wohl daran, dass ich jetzt eine Familie hatte und mir keine Sorgen mehr machen musste.
,,Du ziehst den an und ich suche weiter, ok?“ Alice Stimme klang wieder so fröhlich wie zuvor.
,,Ok.“ Ich nahm ihr den BH aus der Hand und ging in Richtung Umkleidekabine.
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,,Was gefunden?“ Jasper trat neben Edward und begutachtete die CDs, die von ihnen im Regal standen.
Edward schüttelte den Kopf. ,,Nein.“, antwortete er und versuchte so zu klingen, als hätte er sich wirklich auf die CDs konzentriert.
Jasper begann zu lächeln. ,,Du hast sie dir nicht mal richtig angesehen, oder?“
Erwischt!
Edward zuckte lässig die Schultern. Jasper lehnte sich gegen das Regal und musterte seinen Bruder eingehend. ,,Du denkst an Bella, hab ich Recht?“
Kaum hatte Jasper dies ausgesprochen, begann Edward zu stöhnen.
,,Fang du nicht auch noch an.“, knurrte er leise, jedoch so, dass es niemand anderes auÃer Jasper wahrnahm.
Jasper begann zu grinsen. ,,Das deute ich mal als ein ,,Ja“, antwortete er ebenso leise. Edward fixierte ihn kurz, dann drehte er sich um. ,,Ich gehe zu den Büchern.“
Jasper sah ihm nach. Es war eindeutig, dass er an Bella gedacht hatte.
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Ich schloss die Augen und drehte mich um. Ich wusste, dass der Spiegel, der vor mir an der Kabinenwand hing, mir alles zeigen würde.
Alles was ich sehen würde, würde mich daran erinnern was passiert war, was er mir in all den Monaten angetan hatte.
Ich hatte bis jetzt noch nicht in den Spiegel gesehen. Alle Kleidungsstücke, die Alice mir in den vorigen Läden gegeben hatte, hatte ich so angezogen und hatte sie ihnen gezeigt.
Ich hatte an mir heruntergesehen und daran entschieden ob es mir gefiel oder nicht, in den Spiegel gesehen hatte ich jedoch nie.
Langsam öffnete ich die Augen wieder. Ich musterte mich, lieà meinen Blick über meinen weiÃen Brustkorb hin zu meinem Bauch gleiten, der am schlimmsten aussah.
Ich schluckte und versuchte mich nicht von den Gefühlen überrollen zu lassen, die sich unweigerlich an die Oberfläche drängten.
Eigentlich hatte ich gewusst wie es aussah, wie ich aussah. Ich hatte oft genug an mir heruntergesehen und alles gesehen, doch mich jetzt im Spiegel zu sehen, war etwas vollkommen anderes, ein vollkommen anderes Gefühl.
Es machte mir deutlich, dass ich nie vergessen konnte was passiert war, denn ich würde immer diesen Teil bei mir tragen, auf meinem Körper.
,,Und?“ Ich hörte Alice Stimme und bevor ich wusste was geschah, hatte sie auch schon den Vorhang der Kabine ein Stück zur Seite gezogen und ihren Kopf hindurch gesteckt.
Ich drehte den Kopf in ihre Richtung und konnte sehen, wie sich ihr wunderschönes Gesicht binnen weniger Sekunden veränderte.
,,Alice…“, keuchte ich und schlang schützend die Arme um meinen Bauch, obwohl ich wusste, dass es eigentlich nichts mehr brachte. Sie hatte es gesehen. Sie hatte alles gesehen.
,,Bella…was?!“ Ihre Stimme war schockiertes Flüstern.
Ich sah den Schock und den Schmerz in ihren Augen, während ihr klarzuwerden schien was genau sie gerade gesehen hatte.
,,Was…“, fing sie an, doch ihre Stimme brach.
,,Bitte sag es niemandem. Ich bitte dich, Alice…bitte!“ Ich flehte sie regelrecht an.
Sie sah mir direkt ins Gesicht und nickte. ,,Ich verspreche es dir, Bella. Ich sage es niemanden.“
,,Nicht einmal Jasper, ja?“
,,Nicht einmal Jasper!“, versprach sie weiter und hob nun die Hand. Zum Vorschein kamen weitere BHs mit dazu passenden Höschen.
,,Möchtest du die noch weiter anprobieren?“, wollte sie nun wissen und versuchte wieder so normal zu klingen wie vorher.
Ich nickte und nahm ihr die Unterwäsche aus der Hand. Unsere Hände berührten sich und ich hielt sie kurz fest.
,,Danke!“, sagte ich leise und bemerkte die einzelne Träne, die meine Wange herunterlief.
Alice lächelte mitfühlend, hob ihre freie Hand zu meinem Gesicht und strich mir die Träne von der Wange. ,,Nicht dafür, Bella!“
Sie löste sich wieder von mir, dann verschwand sie aus der Umkleide und ich war wieder alleine.
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Nachdem Alice im Dessousladen ebenfalls fast 200 $ für mich ausgegeben hatte, hatte ich beschlossen nun ebenfalls in den Buch und Musikladen zu gehen, der nebenan lag.
Alice hatte mich kurz begleitet um Jasper zu holen und nun mit ihm zusammen ein wenig Unterwäsche einkaufen zu gehen. Sie hatte mir noch schnell einen 100$ Schein in die Hand bedrückt, bevor sie endgültig verschwunden waren.
Ich schmunzelte, als ich das Funkeln in Jaspers Augen gesehen hatte, als Alice ihm ihre Idee eröffnet hatte. Natürlich war er ohne Widerspruch mitgegangen. Er war eben auch nur ein Mann.
Ich sah mich um und erblickte augenblicklich das Schild, welches mir zeigte, dass die Bücher in der oberen Etage zu finden waren.
Der Laden war klein und ziemlich gemütlich. Ich war froh, dass sich nicht allzu viele Menschen in ihm aufhielten. Zwar spürte ich kein Verlangen nach ihrem Blut, es machte mir eher Angst zu viele von ihnen nahe bei mir zu haben.
Es war lange her, dass ich unter vielen Menschen gewesen war. Daran musste ich mich erst wieder gewöhnen.
Ich folgte der Wegbeschreibung, ging die Treppe hoch und musste lächeln. Ãberall standen kleine verwinkelte Regale. Es erinnerte an die Bibliothek einer Highschool.
Ich schloss kurz die Augen und sog den Geruch ein. Diesen bestimmten Geruch, den nur Bücher hatten.
Ich hatte schon immer gerne gelesen und nun, da ich es wieder konnte, suchte ich ein ganz bestimmtes Buch.
Ich sah mich etwas um, und nach kurzem suchen, fand ich was ich wollte. Ich trat weiter in den Gang, nahm das Buch heraus und betrachtete es. Ein Lächeln huschte mir über die Lippen, als ich daran dachte, wie ich es das erste Mal gesehen hatte.
Mein Dad hatte es mir zu Weihnachten geschenkt, als ich vierzehn war. Ich hatte es dutzende Male gelesen und hatte es jedes Mal aufs Neue geliebt. Ich liebte es noch immer.
Ich drehte mich und wollte gehen, kam jedoch nicht weit, denn vor mir am Regal lehnte ein blonder Junge. Er war ungefähr in meinem Alter, trug eine weite Jeans, einen dunklen Pullover und eine ebenso dunkele Basecap. ,,Hey SüÃe.“
Ich schrak zurück, als nun auch drei weitere Jungs neben ihm auftauchten und sich mir in den Weg stellten. Ich trat einen Schritt zurück, musste jedoch feststellen, dass ich nun direkt an der Wand stand.
Der Blonde trat näher auf mich zu. Ein Lächeln lag auf seinem Gesicht. ,,Na, wie heiÃt du denn, meine Hübsche?“
Meine Augen wurden gröÃer, als er plötzlich ganz vor mir stand, seine Hand hob und meine Wange berührte. ,,Willst du mir nicht sagen wie du heiÃt?“, fragte er wieder und beugte sich zu mir vor.
Ich konnte mich nicht bewegen. Meine Gedanken überschlugen sich, als ich die Wärme spürte, die meine Haut berührte.
,,Bitte…!“, flüsterte ich. ,,Bitte nicht.“ Tränen schossen mir in die Augen und ich versuchte nicht vollkommen in Panik auszubrechen.
,,Das gefällt dir doch. Ich…“ Er kam nicht dazu weiterzusprechen, denn er wurde von hinten gepackt und weggezogen.
Edward knurrte bedrohlich, zog den Jungen an sich und lieà seine spitzen, weiÃen Zähne aufblitzen.
,,Du und deine Freunde, ihr solltet verschwinden.“, zischte er und setzte dem Ganzen noch ein leises Knurren nach. Der Blonde riss die Augen auf, nickte und versuchte sich loszumachen, doch Edward lieà ihn nicht.
,,Solltest du auch nur noch an sie denken, dann find ich dich und dann wird es nicht so glimpflich für dich enden, verstanden?“ Seine Stimme hatte nicht an Bedrohlichkeit verloren.
Wieder nickte der Blonde heftig. ,,Ja…ja…!“, stotterte er und nun lieà Edward ihn los. Augenblicklich drehte er sich um und lief weg. Seine Freunde folgen ihm sofort.
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Ich nahm nicht wirklich wahr was um mich herum passierte. Ich spürte die Tränen, die meine Wangen herunterliefen und hörte etwas, hielt meine Augen jedoch geschlossen.
Es war, als wären meine Gedanken eingenebelt und doch hörte ich eine leise Stimme.
,,Bella?“
Edward?
Ich versuchte mich zu konzentrieren, doch es gelang mir nicht wirklich.
,,Bella?“ Wieder diese wunderschöne Stimme.
Ich versuchte wieder klarer zu denken, zu fühlen.
,,Bella! Sieh mich an.“ Die Stimme wurde deutlicher, doch ich konnte nicht antworten.
,,Bella, bitte!“
Nun spürte ich etwas kaltes, dass sich um mein Gesicht legte. Mein Kopf wurde angehoben und ich öffnete die Augen wieder.
Wunderschöne goldene Augen, schoss es mir durch den Kopf und ich schluckte.
,,Edward.“, flüsterte ich und er nickte.
,,Ja, ich bin es. Es ist alles ok. Er ist weg. Es ist alles ok.“, redete er auf mich ein und nun bemerkte ich erst, dass er mein Gesicht in seine Hände genommen hatte.
,,Er ist weg.“, wiederholte er.
Ich nickte leicht, konnte jedoch nicht antworten. Meine Stimme hatte versagt, teils vor Schock, teils wegen ihm.
Wir sahen uns an – Braun traf auf Gold - und binnen weniger Sekunden wich ein Teil der Angst und Anspannung von mir. Ich fühlte mich sicher und geborgen, so wie noch niemals zuvor.
Die Welt hätte in diesem Moment untergehen können, es wäre mir egal gewesen.