Akt 2
Spitzentanz auf viel zu glattem Eis
Richard Gilmore hat sein Leben geplant. An seinem dreizehnten Geburtstag nahm er Stift und Papier und zeichnete sein Leben. Er würde seinen High School Abschluss machen â als Bester natürlich â und Yale besuchen. Er würde sich mit einem reizenden Mädchen aus gutem Hause verloben und es nach seiner Graduation heiraten. Er würde für eine wichtige Firma arbeiten und ein wichtiger Mann werden. So weit so gut. Er war Jahrgangsbester, er ist mit einem reizenden Mädchen verlobt, dem reizendsten Mädchen der Welt sogar. Und in einem Jahr wird er seinen Bachelor haben. In einem Jahr wird er heiraten. In einem Jahr wäre seine verdammte Hochzeitsnacht gewesen und er hat nichts Besseres zu tun als sich von einer Wildfremden verführen zu lassen. Eine Zunge in seinem Hals und eine Hand in seinem Schritt, hat er sich selbst und seine Pläne vergessen. Hat sich selbst für ein paar Brüste und eine Vagina verraten. Er hat Lynnie verraten. Niemals darf sie davon erfahren, das wäre das Ende. Und es ist der einzige Grund, weshalb er doch wieder hergekommen ist. Er muss die Tänzerin dazu kriegen, ihre groÃe Klappe zu halten. Ihre unverschämte Klappe. Nur deshalb ist er hier und wartet darauf, dass sie endlich nach Hause kommt. Verdammt, es ist bald vier Uhr morgens, kein anständiges Mädchen würde sich um diese Zeit noch in einer Stadt wie New York herumtreiben. Anständig, er lacht leise in den leeren Hof. Alles anderes als das. Wenn sie nur endlich auftauchen würde, er will es hinter sich bringen. AuÃerdem ist ihm kalt, das Metall der Feuerleiter fühlt sich durch den Stoff seiner Hose mehr als nur eisig an, er wird noch festfrieren. Also steht er auf und beginnt ein wenig umherzuwandern, schüttelt seine Beine, um die Kälte aus seinen Gliedern zu vertreiben. Der Erfolg ist nur mittelmäÃig, nach einer weiteren halben Stunde resigniert er und beschlieÃt zurück in das Hotel zu gehen.
In der kleinen Seitengasse ist es dunkel und richt unangenehm nach Müll und Urin, eine dreckige Gegend. Sie ekelt ihn ebenso an wie er sich selbst. Es ist die gerechte Strafe, denkt er sich und tritt auf die 3te Avenue. Zumindest will er das, denn ein unsanfter Aufprall lässt ihn zurück in die Gasse taumeln. âVerdammtâ, murmelt er.
âKannst du nicht aufpassen?â, fährt ihn eine weibliche Stimme an und er verdreht die Augen. Natürlich, ausgerechnet in sie muss er laufen. Wenigstens bleibt ihm so ein weiterer Besuch in diesem Viertel erspart.
âNicht sanft genug?â, erkundigt er sich, kann es sich nicht verkneifen und sie wirft ihm einen wütenden Blick zu, der ihn mahnt etwas netter zu sein.
âWas willst du hier?â
âIch habe etwas in deiner Wohnung liegen lassenâ, lügt er, er will sich nicht auf der StraÃe mit ihr unterhalten.
âGlaub mir, deine Jungfräulichkeit ist bei mir gut aufgehoben.â
Blut schieÃt in sein Gesicht, gerne würde er etwas auf diesen rechten Haken erwidern, aber dann würde er es sich endgültig verscherzen. âKannst du für einen Moment deine Krallen einfahren, bitte?â
âWeshalb sollte ich?â
âWeshalb solltest du nicht?â
âWeil ich keine Lust dazu habe, nett zu einem Arschloch wie dir zu sein.â
âHerrgottâ, stöhnt er, konnte er sich für seine Eskapade nicht wenigstens ein nettes Mädchen aussuchen? Aber nein, er musste ja an einen tollwütiger Hund geraten. Eine angriffslustige Bestie mit losem Mundwerk. Und äuÃerst hübschen Beinen, stellt er fest, tadelt sich aber sofort für diesen Gedanken und bemüht sich ihr in die Augen zu sehen. âWürdest du bitte für einen Moment die Luft anhalten, ist das denn zuviel verlangt?â
Sie verzieht das Gesicht und legt den Kopf schief. âIn Ordnungâ, erklärt sie schlieÃlich. âWas willst du? Denn vergessen hast du sicherlich nichts.â
Mich selbst habe ich vergessen, denkt er, spricht es jedoch nicht aus. âIch muss mit dir sprechen.â
âLeg los.â
âEs ist etwas kompliziert. Können wir dazu vielleicht in deine Wohnung gehen?â
âGanz bestimmt nicht.â
âBitte.â
âHör zu, ich werde jetzt auf zehn zählen. Entweder du rückst bis dahin mit der Sprache raus oder aber unser nettes Tete-a-tete hier ist beendet.â
âEm-â
âEinsâ, unterbricht sie ihn, ein herausfordernder Blick. Eine Verrückte. Mit hübschen Beinen. Von ihren Brüsten ganz zu schweigen. Gott, Richard! Konzentrier dich!
âZwei.â
Unglaublich, wie trotzig und verbohrt kann ein einzelner Mensch sein?
âDrei.â
Kindisch!
âVier.â
âOkay, gut. Solange du nur mit dieser schwachsinnigen Zählerei aufhörst.â
âBitte.â
âIch bin hier, weil ichâ, er atmet durch, setzt ein hoffentlich sympathisches Gesicht auf. âDas von heute Nacht muss unter uns bleiben.â
âVerdammtâ, ruft sie aus und verschränkt die Arme, ihre Handtasche gleitet von ihrer Schulter nach unten, bleibt auf ihrem Ellenbogen liegen. âIch habe die Story gerade der New York Times verkauft. Sie wollten es Morgen als Titelschlagzeile bringen.â
âDu kannst nicht für eine Sekunde normal sein, oder?â
âWenn ich das will, sicher doch. Aber ich will nicht.â
Jemand sollte ihr wirklich das Maul stopfen. Nun, nicht jetzt. Du willst etwas von ihr, sei nett. âVersprich mir einfach, dass es unter uns bleibtâ, sie legt wieder den Kopf schräg, sieht in nachdenklich an. âBitteâ, fügt er also hinzu. âWenn meine Verlobte davon erfährtâ, er kommt nicht dazu, den Satz zu Ende zu sprechen, da sie schallend zu Lachen beginnt.
âWasâ¦?â
âGott, das ist gutâ, keucht sie und wischt sich eine Träne aus dem Augenwinkel.
âDas ist nicht witzig. Ich könnte in Teufels Küche kommen.â
âWenn man davon absieht, dass es mir vollkommen egal sein kann â für wie wichtig hältst du dich eigentlich?â
âWas?â
âDenkst du, ich habe nichts Besseres zu tun, als deiner Verlobten zu sagen, dass wir miteinander im Bett waren?â
âNunâ¦â
âNatürlich nicht. Ich weià ja auch soviel über dich. Richard. Der einzige Richard in den ganzen Vereinigten Staaten von Amerika. Ein leichtes herauszufinden wo du herkommst oder mit wem du verlobt bist.â
âEs gibt sicherlich mehr als einen Richard in Amerikaâ, hört er sich selbst sagen, die dümmste Antwort der Welt, sie nimmt sie dankbar entgegen.
âOhâ, ein überraschtes Schulterzucken. âDann werde ich eben alle Richards im Land abklappern bis ich den Richtigen gefunden habe. Bis ich dich und deine kleine Verlobte gefunden habe. Ja, das werde ich wohl tun. Ich habe ja sonst nichts zu tunâ, faucht sie und ihm wird es endgültig zuviel. Derartige Respektlosigkeit muss er sich nicht bieten lassen.
âWürdest du dich bitte etwas maÃregeln?â, fordert er sie auf, doch sie ignoriert ihn.
âGenau genommen tue ich nichts lieber. Ich vögle verlobte und verheiratete Mistkerle wie dich, um ihre Beziehungen zu zerstören. Das gibt mir so unglaublich viel, weiÃt du?!â
âEmily, bitte!â
âIch habe auch schon daran gedacht, es beim Präsidenten zu versuchen. Was hältst du von der Idee? So schlecht sieht Kennedy nicht Mal aus. Und von allem was man so hört, dürfte er im Gegensatz zu anderen auch noch wissen, wie man mit einer Frau umgeht.â
Es reicht ihm. Es reicht ihm endgültig. Hat diese Verrückte auch einen Ausschalter? âVielleicht sollte ich aber lieber erst mit dem Papst schlafen. Mit wem ist der verheiratet? Gott? Wenn man davon absieht, dass das ganz schön pervers ist, wäre es doch ââ
Was auch immer sie sagen wollte, er hindert sie daran indem er seinen Mund auf den ihren presst. Sie taumelt unter der unerwarteten Bewegung zurück, erwidert den Kuss dennoch. Es ist falsch, denkt er sich. So unendlich falsch und schön. Er löst sich von ihr und sie starrt ihn mit offenem Mund an.
âEin hübscher Skandalâ, murmelt sie und er küsst sie erneut. Irrsinn scheint ansteckend zu sein, jeder könnte ihn sehen. Lynnie könnte vorbeikommen und â Lynnie. Abrupt reiÃt er sich von der Tänzerin los.
âIch muss losâ, würgt er hervor und sie nickt schwach. Er bedeckt ihren Lippen ein letztes Mal mit den seinen, streicht ihr dabei über die Wange. âMachâs gutâ, sagt er, dann hastet er an ihr vorbei, nimmt die 3te Avenue im Laufschritt.
âDu weiÃt wo du mich findestâ, ruft sie ihm nach ein paar Metern hinterher und er wünscht sich, er wüsste es nicht.
ATN: Euer FB rührt mich. *Soifz* Weiter so!