Er ist zu früh. Viel zu früh. Obwohl er sich bereits seit über einer halben Stunde die FüÃe in ihrem Hof platt steht, ist es noch immer nicht Drei. Mehr noch, es ist noch nicht einmal Zwei. Er versucht sich zwar einzureden, dass seine Ãberpünktlichkeit alleine daran liegt, dass er den New Yorker Verkehr überschätzt hat, allerdings scheitert er kläglich, schon alleine, weil seine Erektion unangenehm gegen seine Hose drückt. Es tut, seit er um Vier Uhr morgens aufgewacht ist. Die Tatsache, dass er seitdem das Bild von Emilys nacktem Körper nicht aus dem Kopf bekommt, vereinfacht seine Situation nicht gerade. Deshalb springt er um Viertel nach Zwei über seinen eigenen und den Schatten der Schicklichkeit und erklimmt hastig die Stufen der Feuerleiter. Durch die halbzugezogenen Vorhänge, sieht er, dass sie tatsächlich noch schläft. Er wartet deshalb weitere fünf Minuten, beschäftigt sich derweil mit der Frage, ob ihr Körper unter der Bettdecke wohl nackt ist oder nicht. Ebenfalls keine gute Idee, ein beinahe schmerzhaftes Pochen breitet sich in seinem Schoà aus, auÃerdem beiÃt die kalte Dezemberluft in Gesicht und Nacken. Hastig klopft er an ihr Fenster, erst leise, dann lauter, bis schlieÃlich Bewegung in sie kommt und sie verschlafen in den Raum blinzelt. Er klopft noch einmal und sie verzieht das Gesicht, steht trotzdem auf und tapst zum Fenster. Enttäuscht stellt er fest, dass sie nicht nackt zu schlafen scheint, ihr Körper wird von einem schlichten Baumwollnachthemd bedeckt, ihre Haare sind zu einem dicken Zopf geflochten. Auch ohne Make-Up gibt sie ein überraschend hübsches Bild ab, denkt er sich, als sie ihm das Fenster öffnet. Ebenso, wie er feststellt, dass er Lynnie seltsamerweise noch nie ungeschminkt gesehen hat. Oder im Nachthemd.
"Du bist zu früh", reiÃt sie ihn von dem Gedanken an seine Verlobte los, er ist erleichtert.
"Tut mir leid", entschuldigt er sich, mustert ihre Brüste, die sich verheiÃungsvoll unter dem Stoff des Nachthemdes abheben. "Aber der Verkehr war ausgesprochen flieÃend."
"Der Verkehr", erwidert sie trocken und verdreht die Augen, bittet ihn trotzdem hinein. Sie schlieÃt das Fenster schnell hinter ihm, um die kalte Luft auszuschlieÃen, fährt sich dennoch fröstelnd über die Arme.
"Hallo", begrüÃt er sie ein wenig unsicher, hat keine Ahnung, was das Zeremoniell für derartige Treffen vorschreibt oder ob es überhaupt eines gibt.
"Hallo", sagt auch sie mit einem Lächeln und er streicht ihr vorsichtig über die Wange. Da sie ihn nicht daran hindert, beugt er sich ermutigt zu ihr hinab und küsst sie. Obwohl sie den Kuss erwidert, hält er es für das Beste sich noch zurückzuhalten. Nach einer Weile löst sie sich ohnehin von ihm.
"Machst du das immer so, Buchhalter?"
Buchhalter? Er ist ernsthaft gekränkt! "Ich studiere in Yale, der besten Universität des Landes", weist er sie zurecht. "Also nenn mich nicht Buchhalter."
"Das ist keine Antwort auf meine Frage, Buchhalter", erwidert sie und hebt spöttisch die Augenbrauen. "Also? Fällst du immer sofort über deine Frauen her?"
Die Art wie sie es betont, lässt ihn endgültig vermuten, dass sie sehr wohl weiÃ, dass sie seine erste Frau war. Erstens ist es ihm peinlich und zweitens ist er bestimmt nicht über sie hergefallen. "Du bist meine einzige Frau", sagt er deshalb. "Zumindest die Einzige mit der ich -", mit der er was? Mit der er schläft? Mit der er Liebe macht? Nein. "Vögle", beendet er den Satz eilig.
"Die Einzige mit der du vögelst", wiederholt sie, streicht dabei seinen Hemdkragen entlang, zupft an ihm. "Ich nehme das als Kompliment, Buchhalter."
"Nenn mich nicht Buchhalter", rügt er sie erneut.
"Wie soll ich dich dann nennen? Herr und Gebieter? Meister? Mein wilder Hengst?", ein Grinsen huscht über ihr Gesicht, wieder hebt sie die Brauen mit unverholenem Spott.
"Richard", antwortet er schlicht, ihr Sarkasmus ist zum Kotzen und zeugt von schlechten Manieren. Keine Frau die er kennt, würde sich einem Mann gegenüber derart unverschämt und respektlos benehmen.
"In Ordnung, Richard", sie zieht seinen Namen wie Kaugummi in die Länge. "Ich nehme es als Kompliment."
"Das kannst du", erklärt er und küsst sie, ehe sie die Gelegenheit hat, auch darauf irgendetwas zu erwidern. Schnell hat er wirklich ernsthafte Mühe, nicht über sie herzufallen und sie auf dem FuÃboden zu nehmen. Aber wenn er es täte, würde er ihr irgendwie Recht geben und das wird er auf keinen Fall. Stattdessen küsst er sie ausgiebig, lässt dabei doch schon Mal eine Hand unter ihr Nachthemd und ihren Slip wandern, seine andere spielt mit ihrem geflochtenen Haar. Sie scheint nichts dagegen zu haben, dass er sie derart kombattant streichelt. Im Gegenteil, ihre Küsse und die Art, wie sie ihm ihren Körper entgegenpresst, lassen ihn vermuten, dass es ihr gefällt. Als er allerdings an ihrer Haarschleife zieht, hält sie ihn bestimmt davon ab, sie zu öffnen.
"Nicht", sagt sie.
"Aberâ¦."
Emily erstickt seine weitere Antwort mit einem ebenso kurzen wie intensiven Kuss. "Sie würden nur stören", erklärt sie.
Obwohl er da anderer Meinung ist, nickt er zustimmend und lässt seine Finger sanft kreisen, beschlieÃt das Thema vorerst ruhen zu lassen, es gibt jetzt Wichtigeres. "Du fühlst dich gut an", wispert er also in ihr Ohr, gleitet in sie, ein leises Stöhnen ist ihre einzige Antwort. Das Bett ist zu weit weg, befindet er jetzt doch, schiebt sie stattdessen zum Küchentisch, setzt sie darauf. Sie schlieÃt die Augen und legt ihren Kopf in den Nacken, während er mit seinem Finger Druck ausübt, seine Lippen über ihren Mund und Hals wandern lässt. Ihre Haut fühlt sich weich an, der schwache Duft von Jasmin geht von ihr aus.
"Bitte", sagt sie heiser und drängt ihm ihr Becken entgegen.
"Was?", fragt er sie leise, vielleicht um eine letzte Erlaubnis einzuholen, vielleicht auch nur, um es sie sagen zu hören und sie sieht ihn an, runzelt missbilligend die Stirn.
"Weshalb bist du denn hier?"
"Was willst du?"
"Richard!"
"Sag es", fordert er sie auf, gleitet tiefer, ein weiteres Stöhnen. "Was?"
"Fick dich doch", erklärt sie und er grinst.
"Nein, ich denke nicht, dass du das willst."
"Fick mich", sagt sie, beide grinsen.
"Du hast Glück, genau das hatte ich vor", erklärt er und zieht ihr den Slip aus, geht kurz darauf doch den unendlich weiten Weg zu ihrem Bett, um ein Kondom aus der Nachttischschublade zu holen. Aber zugunsten dessen was kommt, vergisst er es schnell. Vergisst es ein paar Mal an diesem Tag.
"Richard?", flüstert sie in sein Ohr, ein angenehmes Kitzeln. "Wach auf."
Er blinzelt träge, stellt fest, dass es spät sein muss, hinter den Vorhängen ist es schwarz und das schmale Licht einer Glühbirne taucht den Raum in ein warmes Orange. "Wie lange habe ich geschlafen?", brummt er müde.
"Zwei, drei Stunden. Ich weià es nicht genau, ich bin auch erst aufgewacht."
"Und wie spät ist es jetzt?"
"Kurz vor Zehn."
Erschrocken richtet er sich auf, blickt auf den Wecker auf dem Nachttisch. Tatsächlich, es ist gleich Zehn, er hatte nicht vor so lange zu bleiben. Er hatte nicht vor einzuschlafen.
"Ich muss gehen", erklärt er eilig.
"Und?"
"Und was?", fragt er verwirrt, steigt aus dem Bett und sieht sich suchend nach seinen Klamotten um, die noch immer da liegen, wo er sie ausgezogen hat.
"Ich will wissen, woran ich bin. Kommst du wieder oder nicht?"
"Ich würde sehr gerne wiederkommen", sagt er, schlüpft dabei in seine Unterhose. "Aber es ist schwierig", setzt er hinzu und zieht sich auch seine Hose an.
"Es ist nicht mein Problem, wie du das regelst. Entweder du kommst wieder oder nicht."
"Und was, wenn ich es nicht tue?", erkundigt er sich, obwohl er sehr wohl vorhat wiederzukommen, eigentlich dachte, die Sache wäre längst geklärt. Sie schnaubt belustig. "Du bist zwar ein netter Kerl und wir hatten guten Sex, aber du bist nicht der einzige nette Kerl mit dem ich guten Sex haben kann."
"Da es dir scheinbar so vollkommen egal ist, mit wem du es tust, weshalb interessiert es dich da, ob ich wiederkomme oder nicht?"
"Weil ich kein Mietwagen bin, den man sich bei Bedarf auf eine kleine Spritztour ausleiht."
"Das wollte ich damit nicht sagen."
"Sondern?"
"Mich interessiert einfach was du von einem", er zögert kurz. "Festen Arrangement hättest."
"Sagte ich das nicht bereits?"
"Sex? Das ist alles?"
"Sex."
Richard kann sich nicht helfen, fühlt sich seltsam geschmeichelt. Doch obwohl sie ihn genauso zu wollen scheint, wie er sie, gibt ihm diese Tatsache noch immer ein kleines Rätsel auf. "Aber du bist ein hübsches Mädchen, willst du gar keinen Mann kennen lernen, dich verlieben, heiraten?"
"Wieso sollte ich nur, weil ich regelmäÃig Sex mit dir habe, nicht mehr in der Lage dazu sein einen Mann kennen zu lernen?"
"Sicherlich wirst du das, aberâ¦"
"Aber du denkst nicht, dass ein Mädchen wie ich jemals einen Kerl findet, der sie heiratet, richtig? Die Schlampe für das Vergnügen vor der Ehe und die Heilige für das Vergnügen der Ehe. Aber dir muss ich das ja nicht erzählen, Arschloch."
"Kannst du nicht für eine Sekunde die Contenance wahren?"
"Wenn du so auf Contenance stehst, solltest du vielleicht besser eine Komtess vögeln."
"Sehr komisch, Emily, wirklich."
"Das war mein Ernst, Richard", erklärt sie und verschränkt die Arme. "Aber falls du lieber weiterhin die Tänzerin flach legst, dann solltest du ihr das besser jetzt sagen. Also, was ist? Ja oder nein?"
"Ja", zischt er, ärgert sich, dass ihm nichts Schlagfertigeres einfällt. Verdammt, er ist in Yale und lässt sich von jemandem, der vermutlich nicht Mal die High School beendet hat, die Worte im Mund herumdrehen.
"Du kannst nächsten Donnerstag wieder kommen", sagt sie und steht auf. "Und jetzt wo das geklärt ist, entschuldige mich bitte, ich würde gerne Duschen. Den Weg nach drauÃen", fügt sie noch hinzu, deutet auf das Fenster. "Findest du sicherlich von alleine."
Emily knallt die Badezimmertür hinter sich zu und er greift unwirsch nach seinem Hemd. Auf die Idee ihn zu fragen, ob er am Donnerstag überhaupt kann, ist sie nicht gekommen. Auf die Idee, dass er sich der Einfachheit halber einfach eine Geliebte in New Haven nehmen könnte, kommt er nicht. Du willst sie und den Sex in deinem Leben integrieren, sagt er sich stattdessen, also integrier ihn, so schwer kann das doch nicht sein, schlieÃlich studierst du an der besten Universität des Landes. Aber zuerst wird er etwas Essen müssen und sich ausschlafen. Sex ist anstrengender als er dachte.
Er hat Recht behalten, der Yale-Student, er schafft es sie zu integrieren. Seine Besuche bei Emily werden in den nächsten drei Monaten zu einem festen Bestandteil seines Lebens. Meist fährt er am Mittwochabend nach New York, kann sich so nicht nur die Vorstellung im Chagall ansehen, sondern auch schon die Nacht mit Emily - oder besser gesagt damit sie zu vögeln - verbringen. Da Lynnie an diesen Abenden ohnehin bei ihren DAR-Treffen ist, fällt es ihrer Beziehung nicht zu Lasten, das perfekte Arrangement also. Ãberhaupt hat er so mehr von Emily und ihrem freien Tag, da sie die schlechte Angewohnheit hat bis weit nach Zwölf zu schlafen. Nicht selten schafft er es allerdings, sie in den frühen Morgenstunden dazu zu überreden, mit ihm zu schlafen. Den restlichen Vormittag verbringt er, ganz braver Student, damit zu lernen oder ihren makellosen Körper anzustarren und sich auszumalen, was er im Verlauf des Tages sonst noch mit ihm anstellen wird. Dem perfekten Tag, er liebt es sie zu vögeln, er liebt die Donnerstage. Gerne hätte er noch einen zweiten dieser Tage, aber ihre unterschiedlichen Lebensrhythmen lassen nichts anderes offen. Er hat Tagsüber keine Zeit, sie nicht am Abend. Die Nächte fallen auch weg, da er morgens wirklich an der Universität sein muss, es ist schon zeitraubend genug, den ganzen Stoff seiner Donnerstagvorlesungen über europäische Binnenmärkte und südamerikanisches Handelsrecht nachlesen zu müssen. Und die Samstage, sie gehören natürlich alleine Lynnie. Die Sonntagvormittage, sie könnte er sich notfalls noch freihalten. Würde er schon in der Nacht nach New York fahren, dann hätte er auch genug davon. Aber auch sie fallen flach, da Emily weià der Himmel warum nicht kann, sonst schläft sie doch auch immer bis in die Puppen. Deshalb geht Richard jedenfalls schnell dazu über, es ist zwar gefährlich zwei Nächte am Stück in New Haven auszubleiben, auch die Donnerstagnächte bei Emily zu bleiben. Allerdings nicht nur um sie länger vögeln zu können, sondern weil er es irgendwann in den frühen Abendstunden meist gerade noch schafft, seinen Kopf auf ihren warmen Bauch zu legen, ehe er, das Pochen ihres Herzens auf seinen Fingerspitzen, völlig erschöpft einschläft. Auch wenn dieses Doppelleben nicht unbedingt seiner Erziehung entspricht, geschweige denn, dass er es jemals so nenne würde, er war vermutlich nie glücklicher. SchlieÃlich hat er alles was ein Mann sich nur wünschen kann. Zumindest wenn er so gut darin ist sich die Wahrheit zurechtzubiegen wie Richard Gilmore.