dankeschön
ach und für alle die die von zeitsprüngen verwirrt sind, die kommen noch öfter vor
achtet auf das datum was oben steht
ich versuch die teile jetzt mal schnell zu posten damit wir auch mal dahin kommen wo ein bisschen was passiert
wenn ich aber erst mal da bin bis wohin ich nicht mehr vorgeschrieben hab wird das wieder länger dauern, gewöhnt euch nicht dran
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Zwei
September 2002
„Was machst du da?“ fragte sie und schloss die Tür hinter sich mit einem Knall.
Er schrak hoch, hatte sie nicht kommen gehört. Mit der Zeit würde er lernen, dass man sie nie hören konnte, bevor sie nicht wollte, dass man sie wahrnahm.
„Ich... denke nach.“
„Worüber?“
Sie sah in interessiert an und legte den Kopf schief.
„Alles mögliche.“
„Und warum machst du das hier? Du kannst dich doch drauÃen irgendwo hinsetzen, das Gelände ist riesengroÃ!“
Simon schüttelte sich. Das Wetter, fand er, war furchtbar. Er hasste den Herbst. In den kalten Jahreszeiten ging er überhaupt selten vor die Tür. Wozu auch? Alles war dunkel, nass und kalt, und er hatte sein Leben im Dunklen, Nassen und Kalten verbracht.
„Hast du mal rausgeguckt?“ fragte er und deutete auf den Himmel, der von grauen Wolken verhangen war.
Sie nickte. „Es ist wunderschön! Und du hast so einen tollen Blick auf den See, und die Bäume...Also warum starrst du an die Decke?“
Er sah sie einen Moment an und entschied, dass er ja zumindest versuchen könnte, es ihr zu erklären.
„Ich mag es, wenn es ganz ruhig ist. Die Decke bleibt immer so wie sie ist, bewegt sich nicht vom Fleck, und ich kann hier Stundenlang liegen und Zeit verschwenden. Ich hab nie so viel Zeit gehabt, weiÃt du? Das ist was ganz besonderes.“
Sie sah ihn an und zog die Augenbrauen hoch, dann legte sie sich neben ihn und starrte die Decke an.
Simon konzentrierte sich wieder auf die Decke, folgte mit dem Blick den kleinen Rissen und versank in seiner Gedankenwelt...
„Ich versteh das nicht. Das ist unendlich langweilig!“
Er lachte. Wenigstens tat sie nicht so als würde sie es verstehen.
„Wie heiÃt du?“, fragte er sie und wendete den Blick nicht von den Rissen in der Zimmerdecke ab.
„Anne.“, antwortete sie nur und starrte ihn an.
„Anne. Annie. Klingt gut! Ich heiÃe Simon.“
Er versuchte aus Höflichkeit das Gespräch in Gang zu halten, aber sie nickte nur und sagte nichts weiter. Sie redete wohl nicht gern. Aber er hörte auch nicht gern stundenlang zu.
Während er weiter an die Decke starrte, sah sie sich in seinem Zimmer um.
„Wie lange bist du hier?“, fragte er sie, und sie antwortete, ohne sich umzudrehen.
„Seit ich 3 war.“
„Oh.“
Sie schaute sein Bücherregal an und nahm ein Buch heraus, las den Klappentext und überlegte, was in diesem Jungen vor sich ging. Irgendwie fand sie ihn doch ein bisschen merkwürdig!
„Wie lange also?“, unterbrach er ihre Gedanken.
„10 Jahre.“
Er stellte ihr hin und wieder Fragen, die sie kurz beantwortete, sie hob Dinge hoch und öffnete Schränke und schien so ebenso viel über ihn herauszufinden.
SchlieÃlich sprach sie von allein, sodass er wieder erschrak und sie schlieÃlich doch ansah.
„Tschüss, Simon. Bis zum Abendessen.“, sagte sie nur und war verschwunden.
Oktober 2002
„Hey.“, sagte sie nur und stand plötzlich vor seinem Bett, ohne dass er sie kommen gehört hatte.
„Noch Platz?“
Simon rutschte zur Seite. Sie legte sich neben ihn, wie sie es jeden Tag tat, seit sie sich kennengelernt hatten, und schaute mit ihm an die Decke.
„WeiÃt du, diese Risse in der Decke erinnern mich immer ein bisschen an dich.“,
begann er zu erzählen.
Sie nickte unmerklich, da sie wusste, dass er sie ohnehin nicht ansah.
„Die Decke hat Narben, wie du. Und ich starre sie die ganze Zeit an. Eigentlich ziemlich blöd von mir, oder?“
„Die Decke anstarren? Naja ich habs noch nie verstanden, aber es wird die Decke kaum stören.“
„Nein, dich.“
„Oh.“
„Du hasst es, angestarrt zu werden, oder?“
„Manchmal starre ich mich selbst an. Kann man nicht verhindern.“
Sie strich sich über die Narbe am Unterarm, die ein wenig aussah, als hätte jemand mit ihren Muttermalen „Malen nach Zahlen“ gespielt. Eine dünne, schnurgerade Linie verband vier davon.
„Du meinst es ja nicht böse.“ sagte sie dann, und schloss die Augen.
„Okay.“
November 2002
„Isst du heute wieder mein Gemüse?“
„Hmm... Du mein Fleisch?“
„Jap.“
Die Tür des Zimmers stand weit offen. Weil sie immer auf dem Bett lagen, hatte eine besonders findige Betreuerin das so angeordnet. Man konnte ja nie wissen. Wenn sie gewusst hätten, hätten sie die Tür beruhigt zugelassen.
„Gehst du nachher wieder zum See?“
„Hmm...“
Er konnte ihr inzwischen an der Stimmlage anmerken, dass das ein „Ja.“ war.
„Morgen wieder hier?“
Anne nickte undeutlich, aber deutlich genug.
Dezember 2002
„Simon? Ich liebe dein Zimmer, und deine Decke, und ihre Narben“ - sie grinste – „aber heute genieÃen wir das Wetter. Hast du Schlittschuhe?“
Er drehte irritiert den Kopf und beobachtete, wie sie plappernd durch sein Zimmer lief. Jetzt sah sie in seinen Schrank.
„Keine Schlittschuhe? Macht nichts.Wir können auch einfach so auf den See rausgehen. Die Eisdecke ist fest. Ich will die Erste sein. Ich bin immer die Erste. Steh auf!“
Es war ein Wunder. Sie hatte über Nacht sprechen gelernt. Was war passiert?
Simon wurde hochgerissen und bekam seine Jacke in die Hand gedrückt.
„Looos.“, quengelte sie und hüpfte auf und ab. „Du wirst es lieben!“
Sie stellte ihre Schlittschuhe in sein Zimmer, denn allein wollte sie nicht fahren.
Ungeduldig wartete sie, bis er seine Schuhe angezogen hatte, dann zog sie ihn aus dem Haus.
Es war Dunkel, der Schnee leuchtete halbhell und knirschte unter ihren Schuhen, während sie um den See liefen, der nur still dalag und kein Ende zu haben schien. Nebel senkte sich über das Gelände und hüllte mit seinen Schleiern alles ein.
Ein Winterwunderland, dachte Anne. Sie plapperte ununterbrochen, und als Simon sich umdrehte, stellte er fest, dass er das Heim nur noch in der Entfernung erahnen konnte.
Simon lief es eiskalt den Rücken herunter. Trotzdem beeindruckte ihn ihre gute Laune.
„Annie. Du sprichst. Ziemlich viel.“
Sie grinste. „Na und? Komm schon!“ Sie hielt seinen Ãrmel fest und zog ihn immer näher an den See heran.
Ungläubig sah er zu, wie sie ihre Schuhe und Socken auszog und auf den See hinauslief.
„Es ist fest, siehst du? Es hält mich, gar kein Problem. Komm schon!“ rief sie, sprang in die Höhe und landete sicher wieder auf dem Eis.
Sie fühlte sich wie eine Königin, schritt über das Eis und malte Muster in den Schnee. Stellte sich vor, die Flocken wären Sterne, die nur für sie vom Himmel gefallen waren. Genoss die Kälte, die sie ganz und gar durchströmte.
Vorsichtig trat er einen Schritt vor, noch einen und noch einen, durch den Schnee. Dort wo er den Anfang des Sees glaubte, zögerte er und blieb stehen.
„WeiÃt du... Ich bin nicht so die Wasserratte.“
Sie lachte. „Aber Simon, es ist gefroren!“
Sie kam auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und sagte in sein Ohr:
„Und auÃerdem stehst du schon längst drauf.“
Simon klammerte sich mit überraschender Heftigkeit an ihren Arm.
„Annie?“, fragte er kleinlaut, „können wir das wenigstens im hellen machen?“
Sie erschrak bei seinem festen Griff und löste seine Hände sanft von ihrem Arm.
„Du findest das furchtbar, oder?“, fragte sie traurig und sah ihm in die Augen.
Als er nickte und dann gar nichts mehr sagte, nahm sie seine Hand und führte ihn sicheren Schrittes zurück zum Ufer.
Den Weg zum Waisenhaus zurück herrschte unangenehme Stille. Er hatte ihre Hand sofort losgelassen, als sie auf den Weg angekommen waren, und sagte nun kein Wort mehr.
Auf dem Hinweg hatte sie in ihrer Aufregung nicht gemerkt, dass er nicht sprach, doch auf dem Rückweg, als auch sie wieder schwieg wie immer, wurde deutlich, dass etwas eben
nicht wie immer war. Sie sah über den See weg, der ihr wunderbar friedlich und ihm gruselig still vorkam, spürte die Schneeflocken zwischen ihren immer noch nackten FüÃen, weich wie Watte, bei deren bloÃem Anblick er sich schon schütteln wollte, und sah seinen Blick, als sie dem Haus näher kamen, warm und erleichtert, wie wenn man nach Hause kam. Und beide dachten dasselbe:
Wie konnte es sein, dass eine Welt, die für den einen die Hölle war für die andere das Paradies darstellte? Wie war es möglich, dass sie das Heim in den zehn Jahren hier nie als zuhause angenommen hatte, wo er es in knapp vier Monaten geschafft hatte?
„Tut mir leid.“, sagte er kleinlaut, als sie wieder am Haus angekommen waren.
Sie lächelte vorsichtig und nickte. „Schon okay. Ich war auf dem See, das reicht.“
„Ich mag es einfach nicht, weiÃt du? Nicht so mein Fall.“
Sie kicherte plötzlich. Erst leise, dann immer lauter.
„Lachst du mich aus?“ , fragte er verstört, als ihr vor Lachen bereits die Tränen kamen und sie sich die Hand auf den Mund presste, um nicht das ganze Haus zu wecken.
„Nein!“, brachte sie hervor. „Es ist nur... du solltest mich mal beim Lagerfeuer sehen, dann weiÃt du, wie eine richtige Panikattacke aussieht.“
So schnell wie ihr Lachen gekommen war ging es auch wieder. Es fühlte sich an, als würden ihre Narben plötzlich leuchten und immer mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, da breitete sich plötzlich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.
„Morgen wieder bei mir? Wir können auch um den See laufen, ich warte dann auf dich wenn du Schlittschuh laufen willst.“
Sie lächelte und nickte leicht. Plötzlich war wieder alles wie immer- nur besser.
Weihnachten 2002
„Und, was hast du bekommen?“, fragte Simon und raschelte laut vernehmlich mit Geschenkpapier. Sie saÃen Rücken an Rücken im Aufenthaltsraum und öffneten ihre Pakete, jeder eines, aus dem Weihnachtsbudget des Heimes bezahlt.
„Tasche.“, informierte sie ihn kurz und bündig, „Leder, bunt, zum umhängen. Du?“
„Bücher. Drei zum Lesen, eins zum reinschreiben.“
Sie drehte sich um und schaute über seine Schulter.
„Was sollst du denn da reinschreiben?“, fragte sie interessiert und nahm ihm das schwarze Notizbuch aus der Hand.
„Auf der Karte steht 'Für deine vielen Gedanken.'“, las er vor. „Was steht auf deiner?“
Sie kicherte. „'Weil deine blaue Tasche ja ständig kaputt geht.'
Ich muss grad dran denken wie Mark die neue Tasche klaut und schreit 'Patchwork, wie dein Gesicht!'- wenn er nicht auf DEN Spruch kommt, werd ich sehr enttäuscht sein."
Er lachte mit ihr mit.
„Was ist so lustig?“
Eine der Betreuerinnen setzte sich zu ihnen.
„Nichts, Lisa, gar nichts.“, sagten die beiden wie aus einem Munde und und lächelten brav.
„Wisst ihr, ihr solltet euch nicht so abseits von den anderen halten. Habt ihr in der letzten Woche überhaupt mit jemandem von ihnen geredet?“
Simon und Anne sahen sich an, dann schüttelten sie synchron den Kopf.
„Wozu auch? Die sind eh alle...“ , fing Anne an, als Simon ihr ins Wort fiel.
„Doch, du hast mit Mark geredet. Er sagte 'Gib mal das Salz, Frankenstein' und du sagtest 'Fick dich.'“
„Das stimmt.“, stellte sie fest und grinste. Sogar Lisa konnte sich das Lachen nicht verkneifen.
Diese zwei kamen gut allein klar – in ihrer sonderbaren eigenen Welt.