Abendstern schrieb:das mit den Schränken passt ziemlich gut rein find ich, weil es so ne Art Retourkutsche für sein Einmischen mit ihrer Tasche ist.
Dass die beiden also sozusagen selbstständig und eigentlich unkommentiert im Leben des anderen Herumbewegen, ohne dass sie die dazu aufgefordert werden. (und das rumschnüffeln hat sie ja "heute" noch --> Gedichtbände xD)
auch eine interessante sichtweise - besonders, dass du das mit den gedichtbänden aufgreifst freut mich sehr
ich danke fürs feedback
und ines, mein plan wo es hingeht ändert sich stetig, aber es wird kein horrorfilm
...glaub ich^^
hier erstmal ein weiterer teil.
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Drei
2011
Als sie aufwachte, war es noch dunkel. Sie schob die Decke zurück, öffnete das Fenster, neben dem das Bett stand, und kletterte über Simon hinweg, der anscheinend irgendwann in der Nacht umgezogen war. Längst merkte sie es nicht mehr, wenn er sie in der Nacht vorsichtig hochhob und ein Stück zur Seite verlagerte, damit sie beide genug Platz hatten.
Sie merkte nicht, wenn er sich neben sie legte und die Hälfte der Decke klaute, und sie bekam auch nicht mit, wenn er wieder mal in einem seiner wirren Träume die Welt rettete, denn wenn sie nebeneinander schliefen, schienen unbewusste Mächte am Werk zu sein, die trotzdem immer eine Hand breit Platz zwischen ihnen lieÃen.
Es war nicht so, dass sie sich nicht genügend vertraut hätten – denn beide schliefen nebeneinander tief und fest – und keiner von beiden fühlte sich unwohl, wenn er vom anderen berührt wurde.
Nein, sie brauchten einfach beide ihren Platz, und sie waren beide bereit, diesen einander zu geben - sogar im Schlaf.
Anne blieb einen Moment auf der Bettkante sitzen und beobachtete ihren besten Freund, wie er den Rest der Decke annektierte und sein Gesicht darin verbarg, sodass nur noch sein blonder Haarschopf hervorschaute, der im Dunkeln fast zu leuchten schien.
Dann schob sie ihre FüÃe in seine wärmenden Filzpantoffeln, schlüpfte leise aus der Tür und verschwand in der Küche.
Simon wurde von der Sonne geweckt, die in sein Gesicht knallte als wollte sie ihn damit gewaltsam aus dem Bett vertreiben. Er brummte und versuchte, sich auÃer Reichweite der grässlich hellen Sonnenstrahlen zu bringen, doch er stellte fest, dass er ihnen nur entkommen konnte, wenn er aufstand.
Morgenmufflig schloss er das Fenster, aus dem schon seit einiger Zeit StraÃenlärm in seine Wohnung drang, den er leider nur im Schlaf wunderbar ignorieren konnte.
AnschlieÃend suchte er mit seinen FüÃen nach seinen Pantoffeln und registrierte schlieÃlich, dass er nicht allein geschlafen hatte und seine Pantoffeln wahrscheinlich bereits ohne ihn unterwegs waren.
Er stand auf und wankte barfuà über den Parkettboden, aus der Schlafzimmertür hinaus, durch das Wohnzimmer und in die Küche.
„Morgen...“, grummelte er und nahm die Kaffeetasse entgegen, die ihm Anne wissend entgegenstreckte. Es gab nicht viele Situationen, in denen er weniger sprach als sie, doch die 20 Minuten, nachdem er aufgewacht war, gehörten eindeutig dazu.
„Gut geschlafen?“, fragte sie nur grinsend.
Er trank von dem Kaffee, dann zeigte er auf ihre FüÃe, die immer noch in seinen Pantoffeln steckten.
„Meine.“, stellte er nur fest und ignorierte ihre Frage, denn in diesem Moment, in dem er sich nach nichts weiter sehnte, als wieder so himmlisch zu schlafen wie noch vor fünf Minuten, erschien diese ihm nur furchtbar gemein.
Sie zog die Pantoffeln aus, hüpfte auf einen Barhocker und drückte die FuÃsohlen an dessen kalte Beine. Ihre FüÃe wurden in diesen gottverdammten Dingern sowieso immer entsetzlich warm.
Simon schlüpfte in die Pantoffeln, stellte seine bereits leere Kaffeetasse auf die Kücheninsel und schlurfte ins Bad.
Zehn Minuten später kam er wieder aus dem Bad, nur mit einem Handtuch bekleidet und immer noch leicht desorientiert. Viele Menschen, unter anderem auch Anne, fanden, dass man nach dem ersten Schluck oder spätestens der ersten Tasse Kaffee am Morgen wach war. Allerspätestens, wenn man zehn Minuten lang geduscht hatte. Simon aber benötigte eine gewisse Zeit, die Anne gern als „tägliche Entwicklungsverzögerung“ verspottete und er selbst als „morgendliche Besinnungsphase“ bezeichnete: Er war grundsätzlich erst nach dem zweiten Kaffee ansatzweise zurechnungsfähig.
„Simon, Schatz, musst du unbedingt deinen tropfnassen Traumkörper so zur Schau stellen?“, fragte Anne, als sie kurz von der Zeitung aufblickte, weil seine Schritte plötzlich verstummt waren und sie ihn mitten in der Küche verortete.
Er antwortete nicht, schüttelte nur den Kopf und ging zurück in sein Zimmer, um sich anzuziehen.
Wenig später kam er zurück und war immerhin schon so weit aufgewacht, dass er sich seinen Kaffee nun selbst einschenken konnte. Er setzte sich auf den zweiten Barhocker, trank ein paar Schlucke und war schlieÃlich in der Realität angekommen.
„Jap, hab ich und ja, es ist meine Wohnung.“, sagte er so plötzlich, dass Anne erschrocken zusammenzuckte. Sie sah ihn fragend an.
„Ja, ich hab gut geschlafen und ja, ich muss meinen tropfnassen Traumkörper so zur Schau stellen, denn ich wohne hier.“, antwortete er auf ihre Fragen, von denen sie schon längst vergessen hatte, dass sie sie gestellt hatte.
Sie grinste. Er war definitiv manchmal noch sonderbarer als sie.
„Also.“ , fing er nun ganz aus dem schweigsamen Modus zurückgekehrt an, „Annie, du schläfst nach deiner 'Date Night' definitiv zu oft hier. Wann hattest du das letzte Mal zwei Dates hintereinander?“
„SIMON!“
Sie war ernsthaft entsetzt über diese Frage. Normalerweise sprach er sie nicht mehr auf ihre misslungenen Dates an, wenn er ein Mal herausgefunden hatte, was schief gelaufen war. Beide informierten einander nicht sehr häufig über ihr Liebesleben, es sei denn, es wurde ernst. Dies wiederum war bei beiden selten der Fall – Anne lieà grundsätzlich nur sehr langsam Nähe zu, was die Männer meist frustrierte, und Simon hatte zwar ständig Freundinnen, entwickelte aber selten ernsthafte Gefühle.
„ANNIE!“, äffte er sie nach und stupste sie in die Seite, dann wurde er ernst.
„Ich weiÃ, dass ich mich da nicht einmischen soll. Ungeschriebenes Gesetz, oder so. Aber Anne, du siehst nicht glücklich aus, und wenn da nicht mal langsam jemand eingreift, wird das nie was.“
„Und DU fühlst dich jetzt dazu berufen, mir Beziehungsnachhilfe zu geben? Weil das ja bei dir immer so wunderbar klappt, was?“, antwortete sie bissig und rutschte vom Barhocker.
„Nein, weil ich denke, dass wir uns gegenseitig helfen können. Das ist wie bei allem anderen auch - wir sind einfach absolut gegensätzlich. Ich bin ein Meister darin, Beziehungen anzufangen, und du weiÃt wie man sie hält.“
Wenn sie genau darüber nachdachte, hatte er wahrscheinlich recht. Immerhin hatte sie wenigstens eine langfristige Beziehung vorzuweisen, er hatte es nie über zwei Wochen heraus geschafft.
Aber sie wollte nicht genau darüber nachdenken. Das tat sie nie.
„Nein.“, sagte sie nur, kletterte wieder auf den Barhocker und vertiefte sich erneut in die Zeitung.
Die Diskussion war beendet.
Weil Samstag war, hatten sie beide nichts zu tun. Simon arbeitete nur in der Woche, und Anne studierte noch.
Nachdem sie gefrühstückt hatten und Anne die Zeitung komplett und Simon diese halb gelesen hatte, planten sie den weiteren Tag beim Abwasch.
„Was hast du heute noch vor?“, fragte Anne und trocknete eine Tasse ab, die Simon ihr hinhielt.
„Aufräumen, Altpapier wegbringen, Schuhe kaufen...“, antwortete dieser und spülte einen Teller. „Und du?“
Sie grinste. „Mit dir aufräumen und Schuhe kaufen?“
Er sah sie ungläubig an. Sie hasste Schuhe kaufen mit ihm, weil er unendlich wählerisch war.
„Nie wieder, Simon. NIE WIEDER!“, hatte sie beim letzten Mal gesagt, nachdem er sie durch sämtliche Schuhgeschäfte geschleift hatte, die die Stadt bieten konnte.
„Das willst du wirklich?“, fragte er nach und lieà das Spülwasser ab.
Sie nickte tapfer und räumte die Marmeladengläser zurück in den Kühlschrank.
„Simon!“, brachte sie verwirrt hervor und starrte in den Kühlschrank, der mit Gemüse nur so vollgestopft war. Das hatte sie beim Tisch decken in ihrer Morgenmüdigkeit wohl übersehen, auch wenn ihr das im Nachhinein unmöglich erschien.
Er trocknete seine Hände ab und sah über seine Schulter.
„Oh, ich mache noch mal einen Versuch, gesund zu leben!“
Anne untersuchte den Kühlschrank, vorsichtig, wie um das Gemüse nicht zu zerplatzen, falls sie sich in einem Traum befand und das Gemüse dort aus Seifenblasen gemacht war.
„Simon, das kannst du ja gar nicht alles essen.“, stellte sie fest und hielt drei Porreestangen hoch. „Das wird doch schlecht!“
Sie wühlte sich durch den Kühlschrank, in den auÃerdem ein Kilo Möhren, Tomaten, Sellerie und Brokkoli gequetscht worden waren.
„Zu viel? Echt?“, fragte Simon, der von Gemüse grundsätzlich keine Ahnung hatte und höchstens mal Bratkartoffeln aÃ, wenn es die Kartoffeln in Form von Pommes nicht gab.
Anne fragte sich oft, wie er bei seiner seltsamen Ernährung überhaupt genügend Vitamine zu sich nahm und dazu auch noch so gut in Form blieb!
Einer schlimmen Ahnung folgend öffnete sie auch seinen Vorratsschrank. Hier quollen ihr sogleich Kartoffel- und Zwiebelvorräte für mindestens drei Armeen entgegen, und sie drückte rasch die Tür wieder zu, bevor alles auf den Boden purzelte.
„Oh, Simon!“, lachte sie, „Wir gehen heute nicht Schuhe kaufen. Wir kochen Suppe – so viel, dass in dein Gefrierfach für die nächsten vier Wochen keine Tiefkühlpizza mehr passt. Herzlichen Glückwunsch, heute beginnt dein gesundes Leben.“
Zuerst hatten sie doch die Wohnung aufgeräumt und Anne hatte eine Menge Sachen gefunden, die sie dringend wieder mit in ihre Wohnung nehmen musste. Nach und nach wanderten verschiedene Klamotten, drei DVDs, zwei Taschenbücher, eine Thermoskanne, die ein oder andere CD, die er ohnehin blöd fand, und zwei Paar Ohrringe in eine groÃe Tüte, die sie anschlieÃend mit nach Hause nehmen wollte. Küche und Bad waren gewischt, Wohn- und Schlafzimmer gesaugt, sogar die Treppe zur Wohnung hatten sie gefegt, bevor sie sich beide in der Küche einfanden.
„Suppe also?“, fragte Simon noch mal nach, und Anne nickte entschlossen. Sie suchte die vier gröÃten Töpfe heraus, die sie finden könnte, schätzte eine ungefähre Gemüsemenge ab und zeigte auf den Haufen Möhren, Sellerie, Porree, Zwiebeln und Kartoffeln, den sie nach und nach aus Kühl- und Vorratsschrank aufgestapelt hatte.
„Simon?“, versuchte sie seine Aufmerksamkeit zu gewinnen, da er augenscheinlich bereits wieder in einem Tagtraum versunken war.
Er schreckte auf und sah sie an. „Schälen!“ , befahl sie und grinste.
Wenig später saÃen beide mit Schälmessern am Küchentisch und füllten eine Schüssel mit geschnittenem Gemüse, eine mit Kartoffelstückchen und eine kleinere mit gewürfelten Zwiebeln.
Die Schalen wurden von einer Seite der Zeitung aufgefangen, die sie zum Frühstück gelesen hatten.
Simon las die Kurznachrichten, die er beim Frühstück ausgelassen hatte, als Anne plötzlich sprach.
„Simon, wegen heute Morgen...“
„Hmm?“
„Sorry. Ich weiÃ, dass du das gut meinst, und vielleicht hast du ja sogar recht.“
„Aber du willst nicht darüber reden, weil wir beide so nicht funktionieren.“
Kurz war sie überrascht, dass er genau verstand, was ihr Problem war, dann fiel ihr wieder ein, mit wem sie redete.
„Genau. Du bist mein bester Freund, Simon, aber unsere Freundschaft lebt eben auch davon dass wir uns nicht in das Leben des anderen einmischen. Das ist wie eine unausgesprochene Abmachung: Wenn wir nicht reden wollen, reden wir nicht. Ich frag nicht zu viel über dein Leben vor dem Heim, und du überlässt mir, meine eigenen Dummheiten in der Datingwelt zu machen.“
Sie grinste. Was hart und unpersönlich klang, war doch die einzige Regel, die garantierte dass ihre Freundschaft am Laufen blieb. So war der jeweils andere zwar immer noch die Person, die am meisten von ihnen wusste und der sie am meisten Vertrauen entgegen brachten, aber trotzdem wussten sie längst nicht alles voneinander. Anne fand das völlig in Ordnung.
Er nickte. „Ja, du hast Recht.“, sagte er schlieÃlich und klang doch etwas etwas enttäuscht.
„Kann ich dir trotzdem noch was sagen?“
Sie seufzte und lächelte leicht.
„Du bist einfach nicht für solche Dates gemacht, Annie. Du brauchst eine Freundschaft, bevor du eine Beziehung eingehst. Du brauchst jemanden, der deine Macken versteht und dich nimmt wie du bist, keinen, dem du deine Nummer in 'ner Bar gegeben hast.“
Jetzt lachte sie. „Wo soll ich denn so einen hernehmen, Simon? Etwa dich?“
Auch er lachte, doch dann wurde er wieder ernst. „Nein, ich meine so eine Beziehung wie du damals mit Mark hattest. Ich meine... mit überschminkten Narben, physisch wie psychisch, kommst du nicht weit.“
Anne verdrehte die Augen. „Du kleiner Philosoph.“, sagte sie nur und konzentrierte sich wieder auf die Kartoffel, die sie gerade schälte.
„Versprichst du mir, mal darüber nachzudenken?“
Sie kicherte. „Sieh mich an, ich nehme Beziehungstipps von jemandem an, von dem ich nicht mal den echten Nachnamen weiÃ!“
Er verzog den Mund. Sie biss sich auf die Lippe, legte das Messer aus der Hand und berührte seine.
„Ja, ich denk drüber nach.“ , versprach sie eilig. Dann nahm sie das Messer wieder auf und beide schälten und schnitten ohne ein weiteres Wort.
„Ich muss noch was erledigen.“, sagte er nach einer Viertelstunde aus heiterem Himmel.
Er stand auf, schnappte sich seine Jacke und zog seine Schuhe an.
Was war denn jetzt los? Anne war verwirrt. Hatte er ihr die Anspielung auf seinen Namen übel genommen? War er beleidigt, weil sie nicht mit ihm über Liebesdinge sprechen wollte? Dachte er, sie vertraute ihm nicht?
Sie blickte auf die Zeitung, in die er vorher beinahe ein Loch gestarrt hatte, und schälte gedankenverloren weitere Kartoffeln. Wollte er, dass sie ging? War das ein Streit gewesen?
In ihrer ganzen Freundschaft hatten sie sich nur ein Mal gestritten. Sie erinnerte sich daran, als wäre es gestern gewesen, aber es war über sieben Jahre her.