pfui. immer diese vulgäre sprache.
tataaaaaa
danke an mel fürs beta-n und ehrliche meinung sagen.<3
(schlagt mich nicht. BITTE.)
SiebenunddreiÃig
2011
„Simon, jetzt geh endlich ans Telefon! Ich muss dir was erzählen!“
Anne steckte die nassen Haare mit einer Haarspange hoch, während sie in das zwischen Ohr und Schulter geklemmte Telefon sprach. Sie hatte die Male nicht gezählt, die sie versucht hatte, ihn zu erreichen.
„Ich rufe dich jetzt nicht mehr an. Meld‘ dich einfach, wenn du wieder da bist! Sonst komm ich spätestens heute Abend vorbei!“
Sie hüpfte auf einem Bein durchs Zimmer, während sie versuchte, sich eine Socke anzuziehen. Mark ging augenverdrehend an ihr vorbei, fing sie ab und nahm ihr das Telefon weg. Auf dem Weg ins Bad stellte er es in die Station.
„Warte!“, rief sie, „Da ist noch mein Shirt drin!“
Sie lieà die Socke Socke sein und huschte an ihm vorbei ins Bad, wo sie ihr für den Tag herausgesuchtes knallgrünes T-Shirt über den BH zog.
Er grinste über ihre Zerstreutheit und wartete seelenruhig, bis sie ihren Kram restlos eingesammelt hatte.
„WeiÃt du...“, meinte er dabei, „du könntest dir doch eigentlich zwei Bäder leisten.“.
Sie lachte. „Schämst du dich etwa vor mir?“, fragte sie und überlegte dabei angestrengt, wo sie ihren Abdeckstift schon wieder hin geräumt hatte. Ihr ständiger Begleiter konnte ja eigentlich überall sein, aber meist wusste Anne sehr genau, wo er sich befand.
„Nein, eigentlich nicht.“, antwortete er und hängte sein Schlafshirt über den Stuhl, auf dem sich schon zahllose Kleidungsstücke von Anne stapelten.
„Ich glaube, ich hab jetzt eh alles.“
Sie huschte aus dem Badezimmer, immer noch auf der Suche nach dem Abdeckstift. Während sie ihre Handtasche durchwühlte, hörte sie ihn barfuà über die Fliesen tapsen und schlieÃlich die Dusche aufdrehen.
Leise summend trat sie vor den Spiegel, als sie ihr liebstes Schminkutensil gefunden hatte, und setzte gerade zum fachgerechten Ãbermalen der Narben an, als das Telefon klingelte.
Eilig nahm sie den Hörer ab.
„Simon?“
„Fast.“
*
Was sie ihm wohl erzählen wollte? Dass sie jetzt wieder mit Mark zusammen war? Wie lange war sie das wohl? War sie am Ende diejenige, die er heiraten wollte? Simon schüttelte den Kopf. Da ging seine Phantasie wohl nun doch mit ihm durch. So einen schlechten Scherz traute er ihr eigentlich nicht zu.
Er sah das Telefon trotzdem misstrauisch an und entschied, sie später anzurufen. Erst mal war es wichtig, zur Arbeit zu gehen. Oder besser: Zur Arbeit zu gehen war die Tätigkeit unter den beiden die er gern noch länger vor sich her schieben wollte, die er weniger ungern machte.
AuÃerdem war davon auszugehen, dass er das letzte Mal dort zur Arbeit gehen würde, denn er war dumm genug gewesen, mit der Tochter seiner Chefin eine Beziehung anzufangen und diese auch noch – das war das eigentliche Problem – wieder zu beenden.
Simon rückte seine Krawatte zurecht. Er konnte sich nicht erinnern wann er sie das letzte Mal bereits auf dem Weg zur Arbeit getragen hatte – eigentlich trug er sie nur, wenn er Kundenkontakt erwartete. Aber heute konnte nichts schaden, was Lena besänftigen konnte. Wenn er auch nicht genau wusste, wie eine Krawatte davon ablenken sollte, dass er einfach nicht genug für ihre Tochter empfand, um eine Beziehung mit dieser zu führen.
Das Klappermobil sprang zu allem Ãberfluss nicht an. Das war ein klares Indiz dafür, dass dieser Tag kein guter Tag werden würde. Knapp erwischte er den Bus, der auf dem Weg in die Innenstadt an jeder Haustür hielt und weit über die ohnehin nur angeblich darin vorhandenen 64 Stehplätze besetzt war. Zwischen einer streng parfümierten älteren Dame, die sich bei ihrer Freundin lautstark über ihren Nachbarn beschwerte („Er hängt sonntags Wäsche auf, dieser Flegel! Sonntags!“
, und einem kleinen Jungen, der die anderen Fahrgäste als StraÃen für sein Spielzeugauto nutzte, sah er auf sein Handy.
Die Uhr verriet ihm, dass er es gerade so pünktlich schaffen würde, wenn der Bus jetzt nur nicht zu langsam fuhr. Die Anrufe, die Anne auf seinem Handy hinterlassen hatte, hatten sich nicht weiter vermehrt.
Ob sie ihre Drohung wirklich wahr machen und ihn direkt zuhause besuchen würde? Eigentlich wollte er gar nicht mit ihr reden. Jedenfalls sagte ihm das sein Bauchgefühl, während sein Kopf ihn eindringlich darauf hinwies, dass Anne ihn niemals wegen Mark vernachlässigen würde.
Er steckte das Handy zurück in die Hosentasche und beschloss, sich erst mal mit seinem bevorstehenden Jobverlust zu beschäftigen.
*
„Wie bitte?“, fragte sie den Anrufer und glaubte, sich verhört zu haben.
„Fast.“, wiederholte dieser mit kratziger Stimme.
„Mein Name ist Leon, Leon Keller. Simon ist mein Sohn, wie du sicher weiÃt.“
*
Der Bus fuhr in einem Tempo, das dem einer Schildkröte, in puncto Langsamkeit, in nichts nachstand. Simon sah verärgert auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er sich Flügel wachsen lassen musste, wenn er noch rechtzeitig zur Arbeit erscheinen wollte. Die Dame mit dem unglaublich flegelhaften Nachbarn machte derweil rassistische Kommentare über einen rothaarigen Mitreisenden. Als es drauÃen begann zu regnen, glaubte Simon bereits fest daran, dass dieser Tag durch nichts mehr schlimmer werden konnte.
*
Der Anrufer hustete.
„Leon Keller?“, hauchte Anne, irgendwo zwischen Ekel, Neugier und Angst gefangen.
„Warum rufen sie an? Woher haben sie überhaupt meine Nummer? Und woher wissen sie, wer ich bin?“
„Man hat viel Zeit im Gefängnis, weiÃt du? Viel Zeit, um sich über alles zu informieren, was im Leben seines Sohnes vor sich geht. Besonders wenn das missratene Teufelskind so dumm ist, seinen Namen in den Mädchennamen seiner Mutter umzuändern... Wahrscheinlich...“
„Ich will nicht mit Ihnen reden. Rufen sie mich nie wieder an! Sonst rufe ich die Polizei!“
Sie legte auf und übergab sich in den Papierkorb, während das Telefon erneut zu klingeln begann.
*
„Hey Lena!“, rief er abgehetzt und hängte sein Jackett über den Bürostuhl. Er war komplett durchnässt und die Strecke von der Bushaltestelle bis zum Büro so schnell gelaufen wie er konnte.
Lena kam strahlend aus ihrem Büro.
„Simon! Da bist du ja! Mensch, bist du nass. Mach mal schnell die Heizung an!“
„Ãhm... Okay?“
Etwas verwirrt schaltete er die Heizung ein, die direkt hinter seinem Bürostuhl unter dem Fenster angebracht war. Warum war sie so nett zu ihm?
„Hast du noch nicht mit Valerie gesprochen?“, hakte er vorsichtig nach.
„Valerie? Doch schon. Hat einen Haufen Mist erzählt, darüber das Männer alle gleich sind und sie jetzt ins Kloster geht. Dann hat sie ihren Vater angerufen, ihn eine halbe Stunde angebrüllt, und seit dem läuft sie strahlend durch die Welt. Das freut eine Mutter.“
Sie lachte herzlich und nahm ihn plötzlich in den Arm.
„Und weiÃt du was eine Mami noch viel mehr freut? Wenn die furchtbare Farbe wieder aus den Haaren gewaschen ist. Wenn ich gewusst hätte, dass sie das mit deinen schönen Haaren macht, hätte ich sie niemals hier herein gelassen.“
Sie grinste und lieà ihn wieder los. Mit einem „So, und jetzt an die Arbeit.“, verschwand sie wieder in ihrem Büro.
Simon blickte ihr staunend hinterher. Hatte sie sich gerade als seine „Mami“ bezeichnet oder hatte sie sich nur einfach so für ihn darüber gefreut, dass er jetzt von ihrer Tochter getrennt war? Beide Möglichkeiten waren ziemlich merkwürdig... Aber irgendwie auch merkwürdig gut.
*
Anne wischte sich den Mund ab und griff wieder nach dem Telefon. Was war denn heute los? Gut, dass Mark gerade Duschen war und von allem nichts mitbekommen hatte.
„Simon?“
„Mädchen, wieso um Himmels Willen sollte ich Angst vor der Polizei haben? Ich bin schon im Knast und sterben werde ich auch bald. Die nehmen mir höchstens das Handy weg. Es ist allerdings nicht schwer, an ein Neues zu kommen.“
Er hustete wieder, laut und keuchend.
„Du klingst übrigens ungesund, Kind.“, meinte er dann, als er wieder sprechen konnte. Es klang nicht einmal ironisch, obwohl er selbst deutlich schlechter klingen musste als Anne – selbst in ihrem geschockten Zustand.
„Als wär dir ein Geist begegnet.“, beschrieb er diesen jetzt. „Aber es war doch nicht Mami oder Papi, oder?“
„Wie bitte?“
„Willst du eigentlich gar nicht wissen, warum ich anrufe?“
„Nein.“
Anscheinend war ihm ziemlich egal, was sie wollte.
„Ich will dir einen Deal vorschlagen.“, erklärte er gönnerhaft. „Ich weiÃ, wer deine Eltern getötet hat. Und woher deine Narben kommen. Hässliche Dinger, übrigens.“
Im Folgenden redete er irgendetwas über Gesichtstransplantationen. Anne hörte nicht hin. Sie war damit beschäftigt, zu überlegen, ob ihr Herz noch schlug oder ob es vor Schreck einfach damit aufgehört hatte. Und konnte nicht mal auflegen, weil sie komplett versteinert war.
„Du musst schon eine Winzigkeit tun, damit ich es dir sage.“
„Was?“, fragte sie mit zittriger Stimme.
„Simon dazu bringen, sein Werk zu vollenden. Er hat seine Mutter getötet, und ich wäre ihm wirklich verbunden, wenn er seinen Versuch, bei mir damals, jetzt fortführt.“
„Wie bitte?“
Sie kam sich unglaublich dämlich vor. Ständig stellte sie nur kurze Nachfragen, statt ihn einfach loszuwerden, wie sie es als Simons beste Freundin tun sollte.
Leon antwortete nicht. Ein neuer Hustenanfall schien ihn zu schwächen, auch wenn er seine Krankheit blendend überspielen konnte.
„Du bekommst Post von mir, sobald ich sie unbemerkt hier raus bekomme,
Annie!“
Er schmatzte ins Telefon, dann war die Leitung tot. Anne wünschte sich, sie wäre es auch.
Sie schaffte es, alle äuÃeren Spuren des Telefonates zu beseitigen. Sie wusch den Papierkorb aus, brachte mit kaltem Wasser die Farbe in ihr Gesicht zurück und überschminkte dieses sorgfältig. Dann setzte sie sich auf die Couch, starrte die Narbe auf ihrem Unterarm an und versuchte, an nichts zu denken. Es gelang ihr nicht.
Was sollte sie für Post bekommen? Wieso sollte ausgerechnet sie Simon dazu bewegen, etwas unfassbares zu tun? Ging es hier um aktive Sterbehilfe oder Anstiftung zum Mord. Was sollte sie Simon erzählen?
Ãber allem schwebte jedoch die alles entscheidende Frage: Was wusste Leon? Und vor allem woher wusste er es?
Niemals hätte sie Simon in irgendeiner Form geschadet. Nicht für das meiste Geld der Welt, nicht für Liebe, nicht für Glück. Aber würde sie ihm schaden? Und war nicht das, was sie dafür bekommen würde, mehr wert als Geld, oder Liebe, oder Glück? Was ihr versprochen wurde, war alles, wovon sie je geträumt hatte. Aber welchen Preis war es wert?
Als die Tür zum Badezimmer geöffnet wurde und Mark heraustrat, wurde ihr bewusst, worüber sie eigentlich nachdachte. Mit Leon Keller machte man keine Geschäfte. Sie würde Simon alles erzählen und die Geschichte dann vergessen. Wieder über Dinge nachdenken, die in ihrem Alter eigentlich die Probleme darstellen sollten - die Zukunft, oder so. SchlieÃlich hatte sie gestern endgültig geklärt, wie ihre Zukunft nicht aussah...
12 Stunden zuvor
Er zog sie eng an sich und erwiderte den Kuss. Jahre lang hatten sie beide darauf gewartet und es nicht versucht.
Und jetzt?
Jetzt wussten sie auch warum.
Fast gleichzeitig lieÃen sie einander los, lösten sich voneinander und sahen sich einen Moment in die Augen.
Anne lachte zuerst. Dann lachte auch Mark.
„Okay.“, prustete sie und lehnte die Stirn an seine Schulter.
„Dieses Mal wissen wir wirklich, dass da nichts mehr ist.“
Er nickte.
„Ãberhaupt nichts mehr.“