Riska
19.10.2004, 23:40
~*Kapitel 2*~
New Haven, Sommer 2004
Nervös wartete Rory vor dem Büro ihrer Literaturprofessorin und ging in Gedanken noch einmal ihre Argumente durch. Der Aufsatz war gut, sie hatte hart an ihm gearbeitet und alles erwähnt was es über expressionistische Literatur zu erwähnen gab. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Seit geschlagenen 37 Minuten war dieser Typ jetzt schon in Professor Lowells Büro. Was konnte denn der schon Wichtiges mit ihr zu besprechen haben â sie war es schlieÃlich die eine Vier bekommen hatte.
Die Tür öffnete sich und ein grinsender junger Mann trat auf den Gang. âDu bist jetzt dran,â er zwinkerte ihr zu. âDie Alte ist verdammt gut drauf heute.â
Rory runzelte skeptisch die Stirn und betrat das Zimmer zögernd. âProfessor Lowell?â Wie beim letzten Mal saà die Professorin hinter ihrem groÃen Schreibtisch und las in einem der zahlreichen Hefter die darauf verstreut lagen.
âMs. Gilmore, es freut mich sie zu sehen. Bitte â â sie deutete auf den freien Stuhl vor ihrem Tisch. Als Rory sich gesetzt hatte, fuhr sie fort. âIch nehme an, sie möchten ihren Aufsatz mit mir besprechen?â
Ihr Gegenüber nickte leicht verwirrt. âGenau. Es, es ist nämlich so, ähm, ich habe viel Zeit und Arbeit in ihn investiert und ich denke....â
âSie denken eine Vier wird dem nicht gerecht,â vollendete Professor Lowell den Satz. Sie nahm einen blauen Ordner zur Hand und begann darin zu blättern. âDie Merkmale expressionistische Literatur von Rory Gilmore. Trakl, Sternheim, Hasenclever, Döblin, â sie haben wirklich sehr gründlich recherchiert....Der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die Tiefe der Finsternis hinein, sie schreit nach Hilfe, sie schreit nach Geist: das ist der Expressionismus.â Rory rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum, während die alte Frau aus ihrem Aufsatz las.
âHermann Bahr. Ich finde das ist eine sehr treffende Beschreibung des Expressionismus.â
âAllerdings.â Lowell klappte den Ordner zu und reichte ihn Rory. âSehen sie Ms. Gilmore ihr Aufsatz enthält jede Menge Fakten, Zahlen, Daten und Zitate. Ich bin mir sicher sie haben viel Zeit investiert und ich habe seit Jahren kein so ausführliches Literaturverzeichnis mehr gesehenâ Sie machte eine kleine Pause und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. âAber offengestanden mangelt es diesem Aufsatz an der notwendigen Lebendigkeit.â
âLebendigkeit?â entgegnete Rory verwirrt.
âExakt. Die jungen Menschen heutzutage haben einfach keinerlei Gefühl mehr für die schönen, die geistigen Dinge des Lebens. Für die Kunst. Sie wissen zwar wie sie an Informationen kommen, aber nicht wie sie diese formulieren sollen. Die Aufsätze sind schlicht und einfach langweilig.â
âAber ââ Rory sah sie mit offenem Mund an.
âIch halte Vorlesungen über Literatur, Ms. Gilmore. Ich muss diese Aufsätze nicht lesen um etwas über Literatur zu erfahren. Ich müsste sie nicht einmal lesen um sie zu benoten. Es ist immer das Gleiche. Dieselben Quellen, dieselben Zitate â ich möchte am liebsten jedesmal laut schreien, wenn ich Bahrs Worte über den Expressionismus lese. Und glauben sie mir, ich lese sie oft, sie stehen in jedem einzelnen Aufsatz über dieses Thema. Warum geben sie ihrem Metzger nicht ein Exemplar der âMenschheitsdämmerungâ und fragen ihn nach seiner Definition expressionistischer Literatur? Das wäre doch mal eine angenehme Abwechslung, finden sie nicht?â
âNun ja â â Auf der Suche nach einer passenden Antwort legte Rory ihre Stirn in Falten. âIch weià es nicht,â gab sie nach einer Weile kleinlaut zu.
Professor Lowell nickte zufrieden. âSie wissen es nicht. Keiner weià es. Deshalb gibt es in Yale ein Projekt das den Studenten nun sagen wir mal `Kreativität´ vermitteln soll.â Sie nahm ihre Lesebrille ab und sah ihre verblüffte Studentin an.
âProjekt. Kreativitätâ war alles was diese hervorbrachte.
âSie sagen es. Ich kann ihnen natürlich nichts versprechen, wir sind schlieÃlich in der Mitte des Semesters, aber ich werde versuchen sie darin unterzubringen.â
âÃhm â in Ordnung?â Rory schluckte.
âSehr schön, sie können jetzt gehen.â Die Professorin griff nach ihrer Brille und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre, während Rory ratlos ihr Büro verlieÃ.
Hartford, Frühjahr 1967
Erschöpft lehnte sich Emily an die Haustür. Es war weit nach Mitternacht und die letzten Gäste hatten sich erst jetzt verabschiedet. Sie fischte mit einer Hand nach ihrem rechten Schuh und sah Richard seufzend an âGott, ich bin am Ende. Diese Schuhe bringen mich noch um.â
âKein Wunder, du bist schlieÃlich ständig von Gast zu Gast gerannt.â Richard legte seine Arme um ihre Hüften. âIch hatte nicht ein einziges Mal die Gelegenheit mit dir zu tanzen oder dir zu sagen wie bezaubernd du heute Abend aussiehst.â
Er beugte sich herunter um Emily zu küssen, doch diese wehrte ab. âRichard! Das Personal ist noch hier.â
Er sah sich um. âDu meinst die Männer in den weiÃen Anzügen?â
âGanz recht.â Emily sah ihren Mann mit hochgezogenen Augenbrauen an.
âSo wie der Oberkellner dich den ganzen Abend angesehen hat, würde er jetzt gerne dasselbe tun.â
âHat er nicht,â protestierte sie, warf allerdings einen skeptischen Blick in Richtung Küche.
âDann werde ich mich wohl geirrt haben.â Er strich eine Strähne die sich aus Emilys hochgestecktem Haar gelöst hatte hinter ihr Ohr. âIch jedenfalls habe mich den ganzen Abend gefragt wer wohl diese schöne Frau in dem grünen Kleid ist, bis mir glücklicherweise wieder einfiel dass ich mit ihr verheiratet bin. Von da an wollte ich nur noch gefährlich eng mit dir tanzen. Ein Verlangen das übrigens unvermindert anhält.â
Emily legte ihre Arme um seinen Hals âTanzen?â
âDas â oder dich zu einem kleinen Spaziergang durch den Garten überreden, um das hier zu tun,â er zog sie noch näher an sich und küsste sie zärtlich.
âRichard Gilmore, du bist ein schamloser Mann. Ich weià wirklich nicht weshalb ich dich geheiratet habe.â
Richard lächelte. âAch nein?â
Sie legte ihren Kopf schief und sah ihn mit funkelnden Augen an. âAber du könntest meinem Gedächtnis vielleicht auf die Sprünge helfen.â
âNichts leichter als dasâ antwortete Richard und küsste sie erneut.
âNun?â fragte er sie schlieÃlich erwartungsvoll und Emily legte ihre Stirn nachdenklich in Falten. âTut mir leid, nichts. Aber vielleicht sollten wir das Ganze zur Sicherheit noch einmal wiederholen, wer weià ob es mir dann wieder einfällt.â
~*~*~*~
Schlaftrunken öffnete Emily die Augen und sah wie ihr Mann so leise wie möglich versuchte das Zimmer zu verlassen. âRichard?â Er drehte sich um âSchlaf weiter, Liebling.â
Emily richtete sich auf âWeshalb bist du denn schon auf? Es ist Sonntag,â sie sah auf den Wecker. âEs ist erst halb sechs....â
âIch weiÃ, aber meine Mutter hat mich gebeten sie heute zu einer Wohltätigkeitsauktion in Adelaide zu begleiten. Stephen Lott wird auch da sein und Trix meinte es wäre eine wunderbare Gelegenheit ihn vielleicht doch noch davon zu überzeugen bei uns versichert zu bleiben.â Richard drückte seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. âEs könnte später werden, du brauchst also nicht mit dem Essen auf mich zu warten.â Mit diesen Worten verlieà er das Zimmer, während Emily sich wieder auf ihr Kissen fallen lies und resigniert die Decke anstarrte.
Stars Hollow, Sommer 2004
Das Diner war beinahe leer, lediglich ein paar vereinzelte Gäste saÃen an den Tischen. Luke sammelte ein paar leere Teller ein und brachte sie in die Küche. Lorelei beobachtete ihn aufmerksam, sah jedoch jedesmal schnell in eine andere Richtung, wenn er sich zu ihr umdrehte. Luke griff nach der Kaffeekanne, um Kirk Kaffee nachzuschenken, stellte sie jedoch genervt wieder zurück und ging an Loreleis Tisch.
âDu starrst mich an.â
Mit gespielter Ãberraschung sah sie von der Speisekarte auf. âBitte?â
âDu starrst mich an.â
âIch starre dich nicht an.â
âDoch, tust du.â Er stemmte die Hände in die Hüften und sah Lorelei an.
Die legte die Karte auf den Tisch und zog eine Schnute. âHabe ich nicht.......Na schön. Vielleicht.â Sie presste Daumen und Zeigefinger aufeinander. âAber nur so ein ganz kleines bisschen. Verzeihst du mir?â fügte sie Augen klimpernd hinzu.
âWieso?â
âNa weil ich eine unglaublich schöne und charmante Frau bin.â
âNein, ich meine wieso starrst du mich an?â
Sie verdrehte die Augen. âNa weil ich dich mag. Weil wir ein Paar sind. Weil du, ähm, weil du so unglaublich gut aussiehst.â
Luke stützte sich auf den Tisch und beugte sich zu Lorelei. âWas willst du?â
âNichts. Ehrlich.â Lorelei lies sich langsam unter den Tisch gleiten. âVielleicht nur eine ganz kleine sozusagen winzige Kleinigkeit.â Sie senkte den Kopf und murmelte etwas, aber Luke schüttelte nur verständnislos den Kopf âWas?â
âMmmmmpf, mmmmpfrf mrrrr mpfh.â erwiderte Lorelei etwas lauter.
âLaà das Lorelei, ich versteh kein Wort!â
âMmmmmpf, mmmmpfrf mrrrr mpfhhhh.â
âDu willst nicht mit mir reden, bitte, rede nicht mit mir. Und hör auf mich anzustarren.â Er ging zurück zum Tresen und füllte Kirks Kaffee nach.
âDanke sehr.â Kirk deutete auf Lorelei âSie starrt dich übrigens immer noch an.â
"Das glaub ich einfach nicht." Luke stürmte an ihren Tisch. âEs reicht! Sag mir endlich was los ist oder ich werde dafür sorgen das du in ganz Conneticut keinen Kaffee mehr kriegst!â Um seine Drohung zu unterstreichen nahm er Lorelei ihre Tasse weg. âUnd zwar nie mehr! Also? Ich höre..â
Lorelei hob schützend die Hände über ihren Kopf. âMeine Mutter hat uns zum Essen eingeladen.â Stirnrunzelnd blickte sie erst nach links und dann nach rechts. Stille. âLuke?â Vorsichtig spähte Lorelei durch ihre Finger. âLuke?â Sie lies ihre Deckung fallen. âSag doch was....â
Luke blinzelte, löste sich aus seiner Starre und sah Lorelei entgeistert an. âWieso hast du ihr das von uns erzählt?â
âBitte? Ichâ Sie riss die Augen auf und deutete empört mit beiden Fingern auf sich. âDu meinst mich? Ich hab es ihr ganz bestimmt nicht erzählt. Ich unterhalte mich mit meiner Mutter nicht über private Dinge.â
âUnd jetzt?â
Lorelei bemächtigte sich wieder ihrer Kaffeetasse, trank einen Schluck und zuckte mit den Achseln. âDu musst jetzt sehr tapfer sein, Cowboy.â Sie sah ihn lächelnd an. âUnd hol schon mal deine Sonntagsmütze aus dem Schrank, denn - â
Kirk unterbrach sie. âDauert das noch lange? Ich würde gerne noch was bestellen.â
âIch hätte nie gedacht, dass ich mal froh wäre Kirks Stimme zu hören.â Luke zog leicht verlegen an seinem Hemd. âTja....â
âTja..â Die beiden nickten und Luke ging zurück an den Tresen, während Lorelei ihm ein âDenk dran, du tust es für michâ hinterher rief.
New York, Frühjahr 1967
Ohne Jerusha zu begrüÃen, stürzte Emily in das kleine Appartement und marschierte zielsicher auf den Kühlschrank zu. Sie holte eine Flasche Wodka hervor, goà sich ein Glas ein und leerte es in einem Zug. âIch fasse es einfach nicht.â Sie schenkte sich nach und lieà sich in einen alten Ledersessel fallen. âDas ist einfach unfassbar.â
âOh, okay.â Jerusha nahm ihr das Glas aus der Hand.
âGib mir das Glas zurück.â
âEs ist sieben Uhr morgens, Emily. Um sieben Uhr morgens trinkt man Kaffee.â Sie ging zum Herd und setzte Kaffeewasser auf. âWas machst du überhaupt hier? Ich dachte du wolltest den heutigen Tag damit verbringen dir von Richard Komplimente machen zu lassen.â
âNun ââ Emily sah ihre Freundin an und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
âHey, Em...â Jerusha nahm sie in den Arm. âWas hast du denn?â fragte sie mit leiser Stimme.
âNichts, es ist nur.....Ich kann das nicht. Ich kann es einfach nicht. Ich bin eine miserable Ehefrau.â
âWas redest du da denn für einen Unsinn, SüÃe?â Sie wischte Emily die Tränen aus dem Gesicht. âDu bist âne tolle Ehefrauâ
Emily schniefte, âDas sagst du.â
âRichard würde das auch sagen.â
âEr vielleicht, aber seine Mutter nicht. Und sie hat Recht, ich meine Richard verliert vielleicht einen wichtigen Kunden und ich bin schuld daran. Gute Ehefrauen machen so etwas nicht,â erwiderte sie schluchzend. âPennilyn hat sich mit Stephen Lott verlobt und ich wuÃte nichts davon. Ich hätte es aber wissen müssen, ich hätte die beiden zu unserer Party einladen müssen, ihnen gratulieren, was weià ich â siehst du: ich weià es nicht. Eine gute Ehefrau wüÃte es nämlich. Lorelei hat es gewusst und jetzt ist sie mit Richard in Adelaide und tut das was eine gute Ehefrau tut .â
Jerusha verzog das Gesicht. âGott, ich hoffe nicht.â Sie griff nach einer Packung Taschentücher und reichte sie Emily. âJetzt putz dir erst mal die Nase und dann versprichst du mir endlich damit aufzuhören, dich von dieser Frau verrückt machen zu lassen.â
âDas kann ich nicht, sie ist Richards Mutter.â
âUnd du bist seine Frau.â Jerusha lächelte ihr aufmunternd zu. âEin tolle Frau. Also hör damit auf dir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen was andere Leute von dir denken.â
âAch ja â und wie soll ich das deiner Meinung nach schaffen?â
Jerusha zuckte mit den Schultern. âMach es einfach, bei mir funktioniert es doch auch.â
âDu kannst es dir vielleicht leisten zu tun und zu lassen was du willst,â entgegnete Emily. âAber ein gewisser gesellschaftlicher Status erfordert nun mal ein bestimmtes Benehmen. Du lebst in den Tag hinein und machst was du willst, du hast ja auch keinen Ruf zu verlieren. Ich schon.â Sie schloss die Augen und holte tief Luft. âEs tut mir leid, ich wollte nicht... ich bin einfach nur am Ende mit den Nerven.â
Jerusha biss sich auf die Lippe âIch werd uns erst mal ânen Kaffee machen.â Sie stand auf und holte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank.
âEs klappt einfach nicht.â Emily schluckte und sah auf das zerknüllte Papiertaschentuch in ihren Händen.
âWas meinst du?â
âIch werde einfach nicht schwanger,â antwortete sie leise.
To be continued
ATN: Sorry, dass ich erst so spät poste â aber ich musste heute âne wilde Katze einfangen und ins Tierheim bringen. Hoffe es gefällt euch und freue mich auf euer Feedback! Riska
New Haven, Sommer 2004
Nervös wartete Rory vor dem Büro ihrer Literaturprofessorin und ging in Gedanken noch einmal ihre Argumente durch. Der Aufsatz war gut, sie hatte hart an ihm gearbeitet und alles erwähnt was es über expressionistische Literatur zu erwähnen gab. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Seit geschlagenen 37 Minuten war dieser Typ jetzt schon in Professor Lowells Büro. Was konnte denn der schon Wichtiges mit ihr zu besprechen haben â sie war es schlieÃlich die eine Vier bekommen hatte.
Die Tür öffnete sich und ein grinsender junger Mann trat auf den Gang. âDu bist jetzt dran,â er zwinkerte ihr zu. âDie Alte ist verdammt gut drauf heute.â
Rory runzelte skeptisch die Stirn und betrat das Zimmer zögernd. âProfessor Lowell?â Wie beim letzten Mal saà die Professorin hinter ihrem groÃen Schreibtisch und las in einem der zahlreichen Hefter die darauf verstreut lagen.
âMs. Gilmore, es freut mich sie zu sehen. Bitte â â sie deutete auf den freien Stuhl vor ihrem Tisch. Als Rory sich gesetzt hatte, fuhr sie fort. âIch nehme an, sie möchten ihren Aufsatz mit mir besprechen?â
Ihr Gegenüber nickte leicht verwirrt. âGenau. Es, es ist nämlich so, ähm, ich habe viel Zeit und Arbeit in ihn investiert und ich denke....â
âSie denken eine Vier wird dem nicht gerecht,â vollendete Professor Lowell den Satz. Sie nahm einen blauen Ordner zur Hand und begann darin zu blättern. âDie Merkmale expressionistische Literatur von Rory Gilmore. Trakl, Sternheim, Hasenclever, Döblin, â sie haben wirklich sehr gründlich recherchiert....Der Mensch schreit nach seiner Seele, die ganze Zeit wird ein einziger Notschrei. Auch die Kunst schreit mit, in die Tiefe der Finsternis hinein, sie schreit nach Hilfe, sie schreit nach Geist: das ist der Expressionismus.â Rory rutschte unruhig auf ihrem Stuhl herum, während die alte Frau aus ihrem Aufsatz las.
âHermann Bahr. Ich finde das ist eine sehr treffende Beschreibung des Expressionismus.â
âAllerdings.â Lowell klappte den Ordner zu und reichte ihn Rory. âSehen sie Ms. Gilmore ihr Aufsatz enthält jede Menge Fakten, Zahlen, Daten und Zitate. Ich bin mir sicher sie haben viel Zeit investiert und ich habe seit Jahren kein so ausführliches Literaturverzeichnis mehr gesehenâ Sie machte eine kleine Pause und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. âAber offengestanden mangelt es diesem Aufsatz an der notwendigen Lebendigkeit.â
âLebendigkeit?â entgegnete Rory verwirrt.
âExakt. Die jungen Menschen heutzutage haben einfach keinerlei Gefühl mehr für die schönen, die geistigen Dinge des Lebens. Für die Kunst. Sie wissen zwar wie sie an Informationen kommen, aber nicht wie sie diese formulieren sollen. Die Aufsätze sind schlicht und einfach langweilig.â
âAber ââ Rory sah sie mit offenem Mund an.
âIch halte Vorlesungen über Literatur, Ms. Gilmore. Ich muss diese Aufsätze nicht lesen um etwas über Literatur zu erfahren. Ich müsste sie nicht einmal lesen um sie zu benoten. Es ist immer das Gleiche. Dieselben Quellen, dieselben Zitate â ich möchte am liebsten jedesmal laut schreien, wenn ich Bahrs Worte über den Expressionismus lese. Und glauben sie mir, ich lese sie oft, sie stehen in jedem einzelnen Aufsatz über dieses Thema. Warum geben sie ihrem Metzger nicht ein Exemplar der âMenschheitsdämmerungâ und fragen ihn nach seiner Definition expressionistischer Literatur? Das wäre doch mal eine angenehme Abwechslung, finden sie nicht?â
âNun ja â â Auf der Suche nach einer passenden Antwort legte Rory ihre Stirn in Falten. âIch weià es nicht,â gab sie nach einer Weile kleinlaut zu.
Professor Lowell nickte zufrieden. âSie wissen es nicht. Keiner weià es. Deshalb gibt es in Yale ein Projekt das den Studenten nun sagen wir mal `Kreativität´ vermitteln soll.â Sie nahm ihre Lesebrille ab und sah ihre verblüffte Studentin an.
âProjekt. Kreativitätâ war alles was diese hervorbrachte.
âSie sagen es. Ich kann ihnen natürlich nichts versprechen, wir sind schlieÃlich in der Mitte des Semesters, aber ich werde versuchen sie darin unterzubringen.â
âÃhm â in Ordnung?â Rory schluckte.
âSehr schön, sie können jetzt gehen.â Die Professorin griff nach ihrer Brille und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre, während Rory ratlos ihr Büro verlieÃ.
Hartford, Frühjahr 1967
Erschöpft lehnte sich Emily an die Haustür. Es war weit nach Mitternacht und die letzten Gäste hatten sich erst jetzt verabschiedet. Sie fischte mit einer Hand nach ihrem rechten Schuh und sah Richard seufzend an âGott, ich bin am Ende. Diese Schuhe bringen mich noch um.â
âKein Wunder, du bist schlieÃlich ständig von Gast zu Gast gerannt.â Richard legte seine Arme um ihre Hüften. âIch hatte nicht ein einziges Mal die Gelegenheit mit dir zu tanzen oder dir zu sagen wie bezaubernd du heute Abend aussiehst.â
Er beugte sich herunter um Emily zu küssen, doch diese wehrte ab. âRichard! Das Personal ist noch hier.â
Er sah sich um. âDu meinst die Männer in den weiÃen Anzügen?â
âGanz recht.â Emily sah ihren Mann mit hochgezogenen Augenbrauen an.
âSo wie der Oberkellner dich den ganzen Abend angesehen hat, würde er jetzt gerne dasselbe tun.â
âHat er nicht,â protestierte sie, warf allerdings einen skeptischen Blick in Richtung Küche.
âDann werde ich mich wohl geirrt haben.â Er strich eine Strähne die sich aus Emilys hochgestecktem Haar gelöst hatte hinter ihr Ohr. âIch jedenfalls habe mich den ganzen Abend gefragt wer wohl diese schöne Frau in dem grünen Kleid ist, bis mir glücklicherweise wieder einfiel dass ich mit ihr verheiratet bin. Von da an wollte ich nur noch gefährlich eng mit dir tanzen. Ein Verlangen das übrigens unvermindert anhält.â
Emily legte ihre Arme um seinen Hals âTanzen?â
âDas â oder dich zu einem kleinen Spaziergang durch den Garten überreden, um das hier zu tun,â er zog sie noch näher an sich und küsste sie zärtlich.
âRichard Gilmore, du bist ein schamloser Mann. Ich weià wirklich nicht weshalb ich dich geheiratet habe.â
Richard lächelte. âAch nein?â
Sie legte ihren Kopf schief und sah ihn mit funkelnden Augen an. âAber du könntest meinem Gedächtnis vielleicht auf die Sprünge helfen.â
âNichts leichter als dasâ antwortete Richard und küsste sie erneut.
âNun?â fragte er sie schlieÃlich erwartungsvoll und Emily legte ihre Stirn nachdenklich in Falten. âTut mir leid, nichts. Aber vielleicht sollten wir das Ganze zur Sicherheit noch einmal wiederholen, wer weià ob es mir dann wieder einfällt.â
~*~*~*~
Schlaftrunken öffnete Emily die Augen und sah wie ihr Mann so leise wie möglich versuchte das Zimmer zu verlassen. âRichard?â Er drehte sich um âSchlaf weiter, Liebling.â
Emily richtete sich auf âWeshalb bist du denn schon auf? Es ist Sonntag,â sie sah auf den Wecker. âEs ist erst halb sechs....â
âIch weiÃ, aber meine Mutter hat mich gebeten sie heute zu einer Wohltätigkeitsauktion in Adelaide zu begleiten. Stephen Lott wird auch da sein und Trix meinte es wäre eine wunderbare Gelegenheit ihn vielleicht doch noch davon zu überzeugen bei uns versichert zu bleiben.â Richard drückte seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. âEs könnte später werden, du brauchst also nicht mit dem Essen auf mich zu warten.â Mit diesen Worten verlieà er das Zimmer, während Emily sich wieder auf ihr Kissen fallen lies und resigniert die Decke anstarrte.
Stars Hollow, Sommer 2004
Das Diner war beinahe leer, lediglich ein paar vereinzelte Gäste saÃen an den Tischen. Luke sammelte ein paar leere Teller ein und brachte sie in die Küche. Lorelei beobachtete ihn aufmerksam, sah jedoch jedesmal schnell in eine andere Richtung, wenn er sich zu ihr umdrehte. Luke griff nach der Kaffeekanne, um Kirk Kaffee nachzuschenken, stellte sie jedoch genervt wieder zurück und ging an Loreleis Tisch.
âDu starrst mich an.â
Mit gespielter Ãberraschung sah sie von der Speisekarte auf. âBitte?â
âDu starrst mich an.â
âIch starre dich nicht an.â
âDoch, tust du.â Er stemmte die Hände in die Hüften und sah Lorelei an.
Die legte die Karte auf den Tisch und zog eine Schnute. âHabe ich nicht.......Na schön. Vielleicht.â Sie presste Daumen und Zeigefinger aufeinander. âAber nur so ein ganz kleines bisschen. Verzeihst du mir?â fügte sie Augen klimpernd hinzu.
âWieso?â
âNa weil ich eine unglaublich schöne und charmante Frau bin.â
âNein, ich meine wieso starrst du mich an?â
Sie verdrehte die Augen. âNa weil ich dich mag. Weil wir ein Paar sind. Weil du, ähm, weil du so unglaublich gut aussiehst.â
Luke stützte sich auf den Tisch und beugte sich zu Lorelei. âWas willst du?â
âNichts. Ehrlich.â Lorelei lies sich langsam unter den Tisch gleiten. âVielleicht nur eine ganz kleine sozusagen winzige Kleinigkeit.â Sie senkte den Kopf und murmelte etwas, aber Luke schüttelte nur verständnislos den Kopf âWas?â
âMmmmmpf, mmmmpfrf mrrrr mpfh.â erwiderte Lorelei etwas lauter.
âLaà das Lorelei, ich versteh kein Wort!â
âMmmmmpf, mmmmpfrf mrrrr mpfhhhh.â
âDu willst nicht mit mir reden, bitte, rede nicht mit mir. Und hör auf mich anzustarren.â Er ging zurück zum Tresen und füllte Kirks Kaffee nach.
âDanke sehr.â Kirk deutete auf Lorelei âSie starrt dich übrigens immer noch an.â
"Das glaub ich einfach nicht." Luke stürmte an ihren Tisch. âEs reicht! Sag mir endlich was los ist oder ich werde dafür sorgen das du in ganz Conneticut keinen Kaffee mehr kriegst!â Um seine Drohung zu unterstreichen nahm er Lorelei ihre Tasse weg. âUnd zwar nie mehr! Also? Ich höre..â
Lorelei hob schützend die Hände über ihren Kopf. âMeine Mutter hat uns zum Essen eingeladen.â Stirnrunzelnd blickte sie erst nach links und dann nach rechts. Stille. âLuke?â Vorsichtig spähte Lorelei durch ihre Finger. âLuke?â Sie lies ihre Deckung fallen. âSag doch was....â
Luke blinzelte, löste sich aus seiner Starre und sah Lorelei entgeistert an. âWieso hast du ihr das von uns erzählt?â
âBitte? Ichâ Sie riss die Augen auf und deutete empört mit beiden Fingern auf sich. âDu meinst mich? Ich hab es ihr ganz bestimmt nicht erzählt. Ich unterhalte mich mit meiner Mutter nicht über private Dinge.â
âUnd jetzt?â
Lorelei bemächtigte sich wieder ihrer Kaffeetasse, trank einen Schluck und zuckte mit den Achseln. âDu musst jetzt sehr tapfer sein, Cowboy.â Sie sah ihn lächelnd an. âUnd hol schon mal deine Sonntagsmütze aus dem Schrank, denn - â
Kirk unterbrach sie. âDauert das noch lange? Ich würde gerne noch was bestellen.â
âIch hätte nie gedacht, dass ich mal froh wäre Kirks Stimme zu hören.â Luke zog leicht verlegen an seinem Hemd. âTja....â
âTja..â Die beiden nickten und Luke ging zurück an den Tresen, während Lorelei ihm ein âDenk dran, du tust es für michâ hinterher rief.
New York, Frühjahr 1967
Ohne Jerusha zu begrüÃen, stürzte Emily in das kleine Appartement und marschierte zielsicher auf den Kühlschrank zu. Sie holte eine Flasche Wodka hervor, goà sich ein Glas ein und leerte es in einem Zug. âIch fasse es einfach nicht.â Sie schenkte sich nach und lieà sich in einen alten Ledersessel fallen. âDas ist einfach unfassbar.â
âOh, okay.â Jerusha nahm ihr das Glas aus der Hand.
âGib mir das Glas zurück.â
âEs ist sieben Uhr morgens, Emily. Um sieben Uhr morgens trinkt man Kaffee.â Sie ging zum Herd und setzte Kaffeewasser auf. âWas machst du überhaupt hier? Ich dachte du wolltest den heutigen Tag damit verbringen dir von Richard Komplimente machen zu lassen.â
âNun ââ Emily sah ihre Freundin an und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.
âHey, Em...â Jerusha nahm sie in den Arm. âWas hast du denn?â fragte sie mit leiser Stimme.
âNichts, es ist nur.....Ich kann das nicht. Ich kann es einfach nicht. Ich bin eine miserable Ehefrau.â
âWas redest du da denn für einen Unsinn, SüÃe?â Sie wischte Emily die Tränen aus dem Gesicht. âDu bist âne tolle Ehefrauâ
Emily schniefte, âDas sagst du.â
âRichard würde das auch sagen.â
âEr vielleicht, aber seine Mutter nicht. Und sie hat Recht, ich meine Richard verliert vielleicht einen wichtigen Kunden und ich bin schuld daran. Gute Ehefrauen machen so etwas nicht,â erwiderte sie schluchzend. âPennilyn hat sich mit Stephen Lott verlobt und ich wuÃte nichts davon. Ich hätte es aber wissen müssen, ich hätte die beiden zu unserer Party einladen müssen, ihnen gratulieren, was weià ich â siehst du: ich weià es nicht. Eine gute Ehefrau wüÃte es nämlich. Lorelei hat es gewusst und jetzt ist sie mit Richard in Adelaide und tut das was eine gute Ehefrau tut .â
Jerusha verzog das Gesicht. âGott, ich hoffe nicht.â Sie griff nach einer Packung Taschentücher und reichte sie Emily. âJetzt putz dir erst mal die Nase und dann versprichst du mir endlich damit aufzuhören, dich von dieser Frau verrückt machen zu lassen.â
âDas kann ich nicht, sie ist Richards Mutter.â
âUnd du bist seine Frau.â Jerusha lächelte ihr aufmunternd zu. âEin tolle Frau. Also hör damit auf dir ständig den Kopf darüber zu zerbrechen was andere Leute von dir denken.â
âAch ja â und wie soll ich das deiner Meinung nach schaffen?â
Jerusha zuckte mit den Schultern. âMach es einfach, bei mir funktioniert es doch auch.â
âDu kannst es dir vielleicht leisten zu tun und zu lassen was du willst,â entgegnete Emily. âAber ein gewisser gesellschaftlicher Status erfordert nun mal ein bestimmtes Benehmen. Du lebst in den Tag hinein und machst was du willst, du hast ja auch keinen Ruf zu verlieren. Ich schon.â Sie schloss die Augen und holte tief Luft. âEs tut mir leid, ich wollte nicht... ich bin einfach nur am Ende mit den Nerven.â
Jerusha biss sich auf die Lippe âIch werd uns erst mal ânen Kaffee machen.â Sie stand auf und holte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank.
âEs klappt einfach nicht.â Emily schluckte und sah auf das zerknüllte Papiertaschentuch in ihren Händen.
âWas meinst du?â
âIch werde einfach nicht schwanger,â antwortete sie leise.
To be continued
ATN: Sorry, dass ich erst so spät poste â aber ich musste heute âne wilde Katze einfangen und ins Tierheim bringen. Hoffe es gefällt euch und freue mich auf euer Feedback! Riska