12.01.2012, 15:54
so ihr lieben, es ist wieder soweit. ich bedanke mich für das feedback, es ist so schön zu sehen dass immernoch interesse an meiner story besteht
neu im leserkreis begrüÃen darf ich kayara-mel (), die ab jetzt auch mitliest.
uund ich bedanke mich bei ines für die inspiration- wenn du es liest weiÃt du denk ich was ich mein
den teil hab ich kurz entschlossen selbst beta gelesen, weil ich glaub dass sweetgilmore-mel mal wieder unterwegs und vielbeschäftigt ist . kann also sein, dass ich sachen übersehen habe, ich bitte um korrekturen, falls es zu furchtbar ist.
Zweiundzwanzig
Valerie war selten in ihrem Leben aufgeregter gewesen. Sie hatte gerade Abitur gemacht, mit einem Durchschnitt von 1,8 â nicht schlecht, aber es hätte besser sein können. Doch ihre Note war nicht wirklich entscheidend, solange der Mensch, der ihr am meisten bedeutete, anwesend sein würde. Sie hätte alles dafür getan und sie war vorbereitet.
In ihrem bodenlangen, tiefblauen Kleid sah sie genau so aus, wie sie sich früher als seine Prinzessin gefühlt hatte. Etwas seltsam war es gewesen, dieses Gefühl, sich selbst im Spiegel in die Augen zu sehen, auf wackligen Schuhen, die in den Weiten eines wunderbaren Kleides verschwanden, für das man sich doch viel zu klein und zu schmal vorkam.
âWunderschönâ, hatte Lena geschwärmt, aber leider war Lenas Meinung wie immer nicht die, die sie dazu hätte hören wollen.
Auch, natürlich, schlieÃlich liebte sie ihre Mutter. Aber auf eine Weise, die sie selbst nicht ganz nachvollziehen konnte, war Lenas Meinung nie die gewesen, die alles entschied.
So hatte sie sie auch damals beim Kleiderkauf nicht vollends Ãberzeugen können, aber die Restzweifel, die blieben, konnte wohl nur ihr Vater ausräumen.
Vielleicht noch Alex, dieser unglaublich hübsche Spanier aus ihrer Stufe, mit dem sie ein paar mal ausgegangen war, aber seine Komplimente waren meist leeres Gerede und Valerie hatte oft das Gefühl, dass sie nicht die einzige war, die sie zu hören bekam. Nein, lieber noch hätte sie stolze Worte von ihrem Vater gehört â doch dazu musste er jetzt erst einmal das richtige Wort herausbringen.
âDu kommst doch, oder?â, fragte sie erneut nach und presste den Telefonhörer fest an ihr Ohr, während sie im Spiegel das andere mit dem zugehörigen noblen Perlenohrring begutachtete. Er hatte sie ihr zum achtzehnten Geburtstag vor einigen Wochen geschickt.
âJa, natürlich!â, versicherte er.
Zwei Worte. Sogar zwei Worte! Kein gelangweiltes âJa.â, oder âSicher.â, sondern ein âJa, natürlich!â.
Er würde kommen, das war sicher. Sie bemühte sich, nicht zu quietschen, und sah sich im Spiegel vor Freude rot anlaufen.
âIch muss weiter arbeiten, Schätzchen. Schick mir die Karten!â
Sie wollte sich verabschieden, als in der Leitung bereits das Freizeichen ertönte.
Er war viel beschäftigt â was sollte er auch anderes tun?
Ein Besuch zu ihrem Abschlussball war mehr als genug.
Valerie hörte nichts. Die Musik, die man an ihrem MP3-Player nicht mehr lauter stellen konnte, schien sie zu durchströmen, während sie Schritt um Schritt gleichmäÃig voreinander setzte.
Aufsetzen, abrollen, abheben. Aufsetzen, abrollen, abheben.
Nimm die Arme mit, Valerie, die Arme!
Sie gehorchte seiner Stimme in ihrem Kopf.
Der Grund, warum sie so eine gute Läuferin war, war, wie sie nur einigen ausgewählten Menschen verriet, dass er immer in ihrem Kopf dabei war. Das hatte sie sich so angewöhnt, als er begonnen hatte, nicht mehr jeden ihrer Läufe zu besuchen.
Am Anfang hatte es sie traurig gemacht, aber inzwischen war sie alt genug um einzusehen, dass er für so etwas keine Zeit mehr hatte. Und so hatte sie eine Geheimwaffe, die andere Mädchen nicht hatten. Den Trainer im Kopf. Das war noch einmal um einiges besser, als den Trainer im Haus zu haben, so wie früher, bevor ihre Eltern sich getrennt hatten.
Jeder Schritt traf den Tartanbelag gleichmäÃig, die Runde zog vorbei. Tribüne, Bäume, Sprunggrube, Matten, Siegerpodest, Startlinie.
â Hey! Valerie!â
Aufsetzen, abrollen, abheben. Arme mitnehmen! Und Aufsetzen, abrollen, abheben. Tribüne, Bäume, Sprunggrube, Matten, Siegerpodest, Start...
â Valerie!!â
Hatte sie jemanden gehört? Sie blickte über ihre Schulter und verlor den Rhythmus. Verstolperte den nächsten Schritt, fing sich ab und musste wieder nach vorn sehen, um nicht zu fallen. Jemand stand dort an der Linie, aber wer war es?
Ihre Schritte wurden langsamer und gemächlich zog ein letztes Mal die Umgebung des Sportplatzes an ihr vorbei, bevor sie kurz vor der Startlinie zum Stehen kam.
Jetzt erst merkte sie die Anstrengung, als ob mit dem Herausnehmen der Kopfhörer plötzlich nicht nur die Musik, sondern auch die Kraft nicht mehr länger durch ihren Körper floss. Sie lieà sich auf den Rasen sinken und bemühte sich, gleichmäÃig zu atmen. Wie viele Runden war sie eigentlich gelaufen? Sie hatte wieder einmal die Zeit vergessen.
âHey, Valerie. Endlich bleibst du stehen.â
Jemand lachte. Valerie musste sich erst die SchweiÃtropfen aus den Augen wischen, um zu erkennen, wer da auf sie zukam.
Den Akzent erkannte sie allerdings, obwohl sie ihren Herzschlag nicht nur hören, sondern auch bis in ihre Ohren fühlen konnte.
âWow, du hättest fast meine Bestzeit geknackt. Respekt!â
Sie hustete und lachte dann.
âAlex, deine Bestzeit liegt knapp über dem Tempo meiner Schildkröte.â
âDu hast gar keine Schildkröte.â
âStimmt. Aber hätte ich eine, könntest du nur gerade so mit ihr konkurrieren.â
Er lachte und setzte sich neben sie auf den Rasen.
â So schlecht laufe ich nun wirklich nicht. Dafür, dass ich nicht jeden Tag stundenlang trainiere, so wie du...â
Sie lieà sich zur Seite fallen, um ihre Flasche greifen zu können, die unweit von ihnen im Gras lag, dann setzte sie sich wieder auf und trank einen Schluck.
âUnd was machst du dann hier?â, fragte sie schlieÃlich band ihren Pferdeschwanz neu, der im Training auseinandergefallen war.
âIch hab dich gesucht. Deine Mutter sagte, du solltest hier sein.â
âMich gesucht? Alex, ich habe ein Handy, ein Telefon, eine Email-Adresse und eine Postadresse. Und wir hätten uns morgen zum Grillen mit dem Französischkurs ohnehin getroffen... du kommst doch, oder?â
âIch musste dich aber heute fragen. Ist wichtig.â
âWas fragen?â
âOb du beim Abiball an meinem Tisch sitzen möchtest?â
âOh.â
Sie sah ihn verdutzt an. Seit einem Monat stand die Sitzordnung fest, und er fragte sie jetzt? Und er fragte sie?
âIch sitze schon mit Lea an einem Tisch.â
âIch hab Lea schon gefragt ob das okay wär. Ich hatte nen kleinen Streit mit Melissa, deshalb...â
Melissa war seit etwa zwei Wochen seine aktuelle Freundin. Oder Ex-Freundin? Bei ihm konnte man sich nie sicher sein. Trotzdem klang es verlockend, den Abend â zumindest das Essen â mit dem hübschen Spanier zu verbringen.
Dann aber fiel ihr ein, warum sie überhaupt erst mit Lea hatte an einem Tisch sitzen wollen.
âAlex, tut mir leid, das geht nicht. Ich muss einfach neben Lea sitzen.â
âWarum?â, fragte er irritiert. Er war sich fast sicher gewesen, dass sie ja sagen würde.
âWeil mein Vater sich so gut mit ihrem versteht.â
Sie merkte erst, wie bescheuert das klang, als sie es schon ausgesprochen hatte.
Alex starrte sie einen Moment an und schluckte, dann grinste er.
âWow. Das ist die dümmste Ausrede die ich je gehört hab. Okay, dann nicht. Wir sehen uns.â
Valerie blieb auf der Wiese sitzen, als er aufstand. Was sollte sie sagen? Was konnte sie tun? Er war es nicht wert. Er war bloà einer von diesen vielen Typen, die sowieso jede Woche eine neue hatten â also lieà sie ihn einfach gehen.
Heute aber hätte sie wirklich lieber Regen gehabt. Am Morgen noch hatte sie sich über die strahlende Sonne gefreut, jetzt wünschte sie sich, sie hätte etwas länger in die Sonne gestarrt, damit die dunklen Punkte, die sich dadurch auf ihr Sichtfeld gelegt hätten, die Löcher in ihren Fotos überdeckt hätten, wenn sie sie später angesehen hätte. Jetzt würde sie sehen, dass auf keinem davon ihr Vater zu sehen war.
Sie setzte sich auf die vorletzte Treppenstufe, stellte ihre Schuhe neben sich und lehnte den Kopf an das kalte Treppengeländer. Es war vorbei. Er würde nicht kommen. Was war das für ein Vater, der nicht mal zu ihrem Abschlussball kam, nicht mal Zeit hatte, abzusagen? Ein Vater, der es verpasste, ihr für ihre Prüfungen viel Glück zu wünschen. Ein Vater, der zu ihrem Geburtstag eine Karte schickte, obwohl er nur am anderen Ende der Stadt lebte. Ein Vater, der wieder unpässlich sein würde, wenn sie ihren Eltern einmal den Mann vorstellen wollte, den sie später heiraten würde, ein Vater, der nicht bei ihrer Hochzeit, nicht zur Geburt ihrer Kinder oder zu anderen wichtigen Anlässen da sein würde.
Wenn er sich nicht schon längst entschieden hatte, entschied sie jetzt. Es war nicht gut für sie, sich einzureden, dass er noch vorbeikommen würde.
Valerie nahm ihre Schuhe wieder in die Hand und überlegte, sie anzuziehen und in den Saal zurückzugehen. Ihre Feierlaune war mehr als angeknackst, aber hatte sie mit der Suche dieses Kleides mehrere Wochen verbracht und Stunden in ihre Frisurplanung investiert, nur um jetzt zu gehen?
Sie hörte das Geräusch klackernder Absätze, das kurzfristig von der FuÃmatte am Eingang gedämpft wurde, dann ungehindert näher kam, bis es plötzlich stoppte und sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
âEr kommt nicht mehr.â, sagte Lena leise und schluckte den Kloà hinunter, der sich beim Anblick ihrer traurigen Tochter sofort in ihrem Hals festsetzen wollte.
Valerie legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.
âIch weiÃ.â
Sie sah zu Lena auf, wischte mit dem Handrücken die unbemerkt gelaufenen Tränen aus ihrem Gesicht und begutachtete danach das Wimperntusche-Salzwasser- Geschmier auf ihrer Hand. Lena gab ihr ein Taschentuch.
âWillst du allein sein?â
âHmm...â
âNach hause?â
âNein.â
âWas dann?â
âWieder rein. Gleich. Ich würd' mich hassen wenn ich noch vor Mitternacht von meinem eigenen Abschlussball verschwinden würd. Du kannst schon wieder rein, ich komm gleich nach.â
âSicher?â
âJa. Muss nur noch kurz Pause machen.â
Lena nickte langsam und wandte sich zum Gehen.
Als sie verschwunden war, stand Valerie auf und lief barfuà über den asphaltierten Parkplatz.
Heute, an dem Tag an dem für sie nichts besser gepasst hatte, hatte es nicht geregnet. Gestern aber hatte es noch gewittert, laut und bedrohlich, mit gleiÃenden Blitzen und einem Sturm, der kleine Ãste durch die Luft gewirbelt hatte. Ein bisschen hatte es nach dem Weltuntergang ausgesehen, nach dem sie sich heute Abend fühlte.
Jetzt wiegten sich die Bäume um das Anwesen sanft im Abendwind, das letzte Sonnenlicht färbte den Himmel rosarot und von dem strömenden Regen war nur noch eine kleine Pfütze übrig. Valerie hob vorsichtig ihr Kleid an, das bei jedem Schritt ein rauschendes Geräusch machte, und trat mit beiden FüÃen in die Pfütze. Es tat gut, die schmerzenden FüÃe etwas abzukühlen. Sie bewegte die Zehen, griff damit nach einem kleinen Stöckchen und fischte es aus der Pfütze, bevor sie das nächste aufhob. Irgendwie hatte die merkwürdige Zehengymnastik eine beruhigende Wirkung.
SchlieÃlich trat sie wieder aus der Pfütze heraus und ging zurück zur Villa, bevor sie wieder in die Schuhe schlüpfte und die Treppen hochstieg. Mit ein paar gekonnten Schminkhandgriffen würde der Sonnenschein bald auf ihr Gesicht zurückkehren, und wenn von dem Unwetter am gestrigen Tag nur noch eine kleine Pfütze geblieben war, würde von ihrem eigenen Unwetter zumindest in ein paar Jahren nicht mehr als eine â winzige â Pfütze übrig sein.
âMama? Wo bist du? Ich muss dir was zeigen!â
Lena trat aus ihrem Arbeitszimmer und bald darauf beugte sie sich am oberen Ende der Treppe über das Geländer. Valerie genoss den Augenblick, in dem die Gesichtszüge ihrer Mutter entgleisten.
âValerie! Valerie, Kind, du bist...blond!â
neu im leserkreis begrüÃen darf ich kayara-mel (), die ab jetzt auch mitliest.
uund ich bedanke mich bei ines für die inspiration- wenn du es liest weiÃt du denk ich was ich mein
den teil hab ich kurz entschlossen selbst beta gelesen, weil ich glaub dass sweetgilmore-mel mal wieder unterwegs und vielbeschäftigt ist . kann also sein, dass ich sachen übersehen habe, ich bitte um korrekturen, falls es zu furchtbar ist.
Zweiundzwanzig
Mai 2009
âAlso, kommst du zum Abschlussball? Ich hab dir schon eine Karte gekauft und wir sitzen an einem Tisch mit Lea, weiÃt du noch? Ihr Vater hat ein Bauunternehmen, du mochtest ihn so gern.âValerie war selten in ihrem Leben aufgeregter gewesen. Sie hatte gerade Abitur gemacht, mit einem Durchschnitt von 1,8 â nicht schlecht, aber es hätte besser sein können. Doch ihre Note war nicht wirklich entscheidend, solange der Mensch, der ihr am meisten bedeutete, anwesend sein würde. Sie hätte alles dafür getan und sie war vorbereitet.
In ihrem bodenlangen, tiefblauen Kleid sah sie genau so aus, wie sie sich früher als seine Prinzessin gefühlt hatte. Etwas seltsam war es gewesen, dieses Gefühl, sich selbst im Spiegel in die Augen zu sehen, auf wackligen Schuhen, die in den Weiten eines wunderbaren Kleides verschwanden, für das man sich doch viel zu klein und zu schmal vorkam.
âWunderschönâ, hatte Lena geschwärmt, aber leider war Lenas Meinung wie immer nicht die, die sie dazu hätte hören wollen.
Auch, natürlich, schlieÃlich liebte sie ihre Mutter. Aber auf eine Weise, die sie selbst nicht ganz nachvollziehen konnte, war Lenas Meinung nie die gewesen, die alles entschied.
So hatte sie sie auch damals beim Kleiderkauf nicht vollends Ãberzeugen können, aber die Restzweifel, die blieben, konnte wohl nur ihr Vater ausräumen.
Vielleicht noch Alex, dieser unglaublich hübsche Spanier aus ihrer Stufe, mit dem sie ein paar mal ausgegangen war, aber seine Komplimente waren meist leeres Gerede und Valerie hatte oft das Gefühl, dass sie nicht die einzige war, die sie zu hören bekam. Nein, lieber noch hätte sie stolze Worte von ihrem Vater gehört â doch dazu musste er jetzt erst einmal das richtige Wort herausbringen.
âDu kommst doch, oder?â, fragte sie erneut nach und presste den Telefonhörer fest an ihr Ohr, während sie im Spiegel das andere mit dem zugehörigen noblen Perlenohrring begutachtete. Er hatte sie ihr zum achtzehnten Geburtstag vor einigen Wochen geschickt.
âJa, natürlich!â, versicherte er.
Zwei Worte. Sogar zwei Worte! Kein gelangweiltes âJa.â, oder âSicher.â, sondern ein âJa, natürlich!â.
Er würde kommen, das war sicher. Sie bemühte sich, nicht zu quietschen, und sah sich im Spiegel vor Freude rot anlaufen.
âIch muss weiter arbeiten, Schätzchen. Schick mir die Karten!â
Sie wollte sich verabschieden, als in der Leitung bereits das Freizeichen ertönte.
Er war viel beschäftigt â was sollte er auch anderes tun?
Ein Besuch zu ihrem Abschlussball war mehr als genug.
Juni 2009
âHey.âValerie hörte nichts. Die Musik, die man an ihrem MP3-Player nicht mehr lauter stellen konnte, schien sie zu durchströmen, während sie Schritt um Schritt gleichmäÃig voreinander setzte.
Aufsetzen, abrollen, abheben. Aufsetzen, abrollen, abheben.
Nimm die Arme mit, Valerie, die Arme!
Sie gehorchte seiner Stimme in ihrem Kopf.
Der Grund, warum sie so eine gute Läuferin war, war, wie sie nur einigen ausgewählten Menschen verriet, dass er immer in ihrem Kopf dabei war. Das hatte sie sich so angewöhnt, als er begonnen hatte, nicht mehr jeden ihrer Läufe zu besuchen.
Am Anfang hatte es sie traurig gemacht, aber inzwischen war sie alt genug um einzusehen, dass er für so etwas keine Zeit mehr hatte. Und so hatte sie eine Geheimwaffe, die andere Mädchen nicht hatten. Den Trainer im Kopf. Das war noch einmal um einiges besser, als den Trainer im Haus zu haben, so wie früher, bevor ihre Eltern sich getrennt hatten.
Jeder Schritt traf den Tartanbelag gleichmäÃig, die Runde zog vorbei. Tribüne, Bäume, Sprunggrube, Matten, Siegerpodest, Startlinie.
â Hey! Valerie!â
Aufsetzen, abrollen, abheben. Arme mitnehmen! Und Aufsetzen, abrollen, abheben. Tribüne, Bäume, Sprunggrube, Matten, Siegerpodest, Start...
â Valerie!!â
Hatte sie jemanden gehört? Sie blickte über ihre Schulter und verlor den Rhythmus. Verstolperte den nächsten Schritt, fing sich ab und musste wieder nach vorn sehen, um nicht zu fallen. Jemand stand dort an der Linie, aber wer war es?
Ihre Schritte wurden langsamer und gemächlich zog ein letztes Mal die Umgebung des Sportplatzes an ihr vorbei, bevor sie kurz vor der Startlinie zum Stehen kam.
Jetzt erst merkte sie die Anstrengung, als ob mit dem Herausnehmen der Kopfhörer plötzlich nicht nur die Musik, sondern auch die Kraft nicht mehr länger durch ihren Körper floss. Sie lieà sich auf den Rasen sinken und bemühte sich, gleichmäÃig zu atmen. Wie viele Runden war sie eigentlich gelaufen? Sie hatte wieder einmal die Zeit vergessen.
âHey, Valerie. Endlich bleibst du stehen.â
Jemand lachte. Valerie musste sich erst die SchweiÃtropfen aus den Augen wischen, um zu erkennen, wer da auf sie zukam.
Den Akzent erkannte sie allerdings, obwohl sie ihren Herzschlag nicht nur hören, sondern auch bis in ihre Ohren fühlen konnte.
âWow, du hättest fast meine Bestzeit geknackt. Respekt!â
Sie hustete und lachte dann.
âAlex, deine Bestzeit liegt knapp über dem Tempo meiner Schildkröte.â
âDu hast gar keine Schildkröte.â
âStimmt. Aber hätte ich eine, könntest du nur gerade so mit ihr konkurrieren.â
Er lachte und setzte sich neben sie auf den Rasen.
â So schlecht laufe ich nun wirklich nicht. Dafür, dass ich nicht jeden Tag stundenlang trainiere, so wie du...â
Sie lieà sich zur Seite fallen, um ihre Flasche greifen zu können, die unweit von ihnen im Gras lag, dann setzte sie sich wieder auf und trank einen Schluck.
âUnd was machst du dann hier?â, fragte sie schlieÃlich band ihren Pferdeschwanz neu, der im Training auseinandergefallen war.
âIch hab dich gesucht. Deine Mutter sagte, du solltest hier sein.â
âMich gesucht? Alex, ich habe ein Handy, ein Telefon, eine Email-Adresse und eine Postadresse. Und wir hätten uns morgen zum Grillen mit dem Französischkurs ohnehin getroffen... du kommst doch, oder?â
âIch musste dich aber heute fragen. Ist wichtig.â
âWas fragen?â
âOb du beim Abiball an meinem Tisch sitzen möchtest?â
âOh.â
Sie sah ihn verdutzt an. Seit einem Monat stand die Sitzordnung fest, und er fragte sie jetzt? Und er fragte sie?
âIch sitze schon mit Lea an einem Tisch.â
âIch hab Lea schon gefragt ob das okay wär. Ich hatte nen kleinen Streit mit Melissa, deshalb...â
Melissa war seit etwa zwei Wochen seine aktuelle Freundin. Oder Ex-Freundin? Bei ihm konnte man sich nie sicher sein. Trotzdem klang es verlockend, den Abend â zumindest das Essen â mit dem hübschen Spanier zu verbringen.
Dann aber fiel ihr ein, warum sie überhaupt erst mit Lea hatte an einem Tisch sitzen wollen.
âAlex, tut mir leid, das geht nicht. Ich muss einfach neben Lea sitzen.â
âWarum?â, fragte er irritiert. Er war sich fast sicher gewesen, dass sie ja sagen würde.
âWeil mein Vater sich so gut mit ihrem versteht.â
Sie merkte erst, wie bescheuert das klang, als sie es schon ausgesprochen hatte.
Alex starrte sie einen Moment an und schluckte, dann grinste er.
âWow. Das ist die dümmste Ausrede die ich je gehört hab. Okay, dann nicht. Wir sehen uns.â
Valerie blieb auf der Wiese sitzen, als er aufstand. Was sollte sie sagen? Was konnte sie tun? Er war es nicht wert. Er war bloà einer von diesen vielen Typen, die sowieso jede Woche eine neue hatten â also lieà sie ihn einfach gehen.
Juli 2009
Hätte sie sich in einem Film befunden, hätte es mit Sicherheit geregnet, als Valerie drei Stunden nach Beginn des Balls den Festsaal und dann die Villa verlieÃ, die extra für diesen Anlass gemietet worden war. Sie stolperte am Sicherheitsdienst vorbei und zog dabei nacheinander die unbequemen Schuhe von ihren FüÃen, dann ging sie die Stufen am Eingang hinunter. Es regnete nicht, denn ihr Leben war kein Film. Der Tag war zu einer lauen Sommernacht geworden, zu einer dieser Nächte, die man sich für eine Gartenparty wünschte und nie bekam.Heute aber hätte sie wirklich lieber Regen gehabt. Am Morgen noch hatte sie sich über die strahlende Sonne gefreut, jetzt wünschte sie sich, sie hätte etwas länger in die Sonne gestarrt, damit die dunklen Punkte, die sich dadurch auf ihr Sichtfeld gelegt hätten, die Löcher in ihren Fotos überdeckt hätten, wenn sie sie später angesehen hätte. Jetzt würde sie sehen, dass auf keinem davon ihr Vater zu sehen war.
Sie setzte sich auf die vorletzte Treppenstufe, stellte ihre Schuhe neben sich und lehnte den Kopf an das kalte Treppengeländer. Es war vorbei. Er würde nicht kommen. Was war das für ein Vater, der nicht mal zu ihrem Abschlussball kam, nicht mal Zeit hatte, abzusagen? Ein Vater, der es verpasste, ihr für ihre Prüfungen viel Glück zu wünschen. Ein Vater, der zu ihrem Geburtstag eine Karte schickte, obwohl er nur am anderen Ende der Stadt lebte. Ein Vater, der wieder unpässlich sein würde, wenn sie ihren Eltern einmal den Mann vorstellen wollte, den sie später heiraten würde, ein Vater, der nicht bei ihrer Hochzeit, nicht zur Geburt ihrer Kinder oder zu anderen wichtigen Anlässen da sein würde.
Wenn er sich nicht schon längst entschieden hatte, entschied sie jetzt. Es war nicht gut für sie, sich einzureden, dass er noch vorbeikommen würde.
Valerie nahm ihre Schuhe wieder in die Hand und überlegte, sie anzuziehen und in den Saal zurückzugehen. Ihre Feierlaune war mehr als angeknackst, aber hatte sie mit der Suche dieses Kleides mehrere Wochen verbracht und Stunden in ihre Frisurplanung investiert, nur um jetzt zu gehen?
Sie hörte das Geräusch klackernder Absätze, das kurzfristig von der FuÃmatte am Eingang gedämpft wurde, dann ungehindert näher kam, bis es plötzlich stoppte und sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.
âEr kommt nicht mehr.â, sagte Lena leise und schluckte den Kloà hinunter, der sich beim Anblick ihrer traurigen Tochter sofort in ihrem Hals festsetzen wollte.
Valerie legte ihre Hand auf die ihrer Mutter.
âIch weiÃ.â
Sie sah zu Lena auf, wischte mit dem Handrücken die unbemerkt gelaufenen Tränen aus ihrem Gesicht und begutachtete danach das Wimperntusche-Salzwasser- Geschmier auf ihrer Hand. Lena gab ihr ein Taschentuch.
âWillst du allein sein?â
âHmm...â
âNach hause?â
âNein.â
âWas dann?â
âWieder rein. Gleich. Ich würd' mich hassen wenn ich noch vor Mitternacht von meinem eigenen Abschlussball verschwinden würd. Du kannst schon wieder rein, ich komm gleich nach.â
âSicher?â
âJa. Muss nur noch kurz Pause machen.â
Lena nickte langsam und wandte sich zum Gehen.
Als sie verschwunden war, stand Valerie auf und lief barfuà über den asphaltierten Parkplatz.
Heute, an dem Tag an dem für sie nichts besser gepasst hatte, hatte es nicht geregnet. Gestern aber hatte es noch gewittert, laut und bedrohlich, mit gleiÃenden Blitzen und einem Sturm, der kleine Ãste durch die Luft gewirbelt hatte. Ein bisschen hatte es nach dem Weltuntergang ausgesehen, nach dem sie sich heute Abend fühlte.
Jetzt wiegten sich die Bäume um das Anwesen sanft im Abendwind, das letzte Sonnenlicht färbte den Himmel rosarot und von dem strömenden Regen war nur noch eine kleine Pfütze übrig. Valerie hob vorsichtig ihr Kleid an, das bei jedem Schritt ein rauschendes Geräusch machte, und trat mit beiden FüÃen in die Pfütze. Es tat gut, die schmerzenden FüÃe etwas abzukühlen. Sie bewegte die Zehen, griff damit nach einem kleinen Stöckchen und fischte es aus der Pfütze, bevor sie das nächste aufhob. Irgendwie hatte die merkwürdige Zehengymnastik eine beruhigende Wirkung.
SchlieÃlich trat sie wieder aus der Pfütze heraus und ging zurück zur Villa, bevor sie wieder in die Schuhe schlüpfte und die Treppen hochstieg. Mit ein paar gekonnten Schminkhandgriffen würde der Sonnenschein bald auf ihr Gesicht zurückkehren, und wenn von dem Unwetter am gestrigen Tag nur noch eine kleine Pfütze geblieben war, würde von ihrem eigenen Unwetter zumindest in ein paar Jahren nicht mehr als eine â winzige â Pfütze übrig sein.
*
âMama, bist du zuhause?â, rief Valerie am nächsten Tag laut durch das Einfamilienhaus, nachdem sie die Tür aufgestoÃen hatte.âMama? Wo bist du? Ich muss dir was zeigen!â
Lena trat aus ihrem Arbeitszimmer und bald darauf beugte sie sich am oberen Ende der Treppe über das Geländer. Valerie genoss den Augenblick, in dem die Gesichtszüge ihrer Mutter entgleisten.
âValerie! Valerie, Kind, du bist...blond!â