so. ich mal wieder
denke, das hat jetzt lange genug gedauert und entschuldige mich vielmals
hoffe es sind noch ein paar leser da
viel spaÃ!
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FünfunddreiÃig
2011
Simon hatte nicht wirklich geplant, dass es so kommen würde. Er hatte nicht geplant, Valerie heute noch anzurufen, und genauso wenig hatte er es gewollt. Warum also hatte er es gemacht? Manchmal, bemerkte er, als er auf den Türöffner drückte, manchmal war er einfach ein Idiot. Wusste nicht, was er wollte und wollte dann gleichzeitig alles und nichts.
Valeries Schritte hallten im Treppenhaus und er wusste, dass sie die Turnschuhe mal wieder durch Absätze eingetauscht hatte, die in schwindelerregende Höhe reichten. Ja, aus ihr wurde er genau so wenig schlau wie aus sich selbst, vielleicht war es das, was ihm an ihr so gefiel.
Er konnte sich nicht entscheiden, wie er sie sah. Auf der einen Seite konnte er ihr keinen Wunsch versagen, denn wenn sie ihn nur ansah, wurde er stumm â auf der anderen Seite fragte er sich, warum er einer Beziehung sofort zugestimmt hatte. Er rutschte doch sonst nicht so schnell in so etwas hinein?
Nein, er wusste wahrhaftig überhaupt nicht, was mit ihm los war. Oder mit der Welt. Er wusste nichts.
März 2006
Die Risse an der Decke waren immer noch dieselben wie bei seinem Einzug ins Heim. Inzwischen wohnte er schon nicht mehr hier, das Zimmer gehörte nicht mehr zu ihm und der Inhalt des Bücherregals hatte in seiner Stadtwohnung ein neues Zuhause gefunden. Und doch hingen so viele Erinnerungen an diesem Raum, dass es ihm schwer fiel, die Tür wieder zu schlieÃen. Auf dem Bett liegen und tagträumen, allein oder mit Anne. Gedichte in seine Notizbücher schreiben, über alles, was ihn bewegte. Gedanken an Menschen, die er liebte. Und natürlich an den einen Menschen, den er hasste.
War er immer noch derselbe? Während er mit seinen Blicken den ewigen Linien gefolgt war, die die Risse an die Decke zeichneten, hatte er sich ewig gleiche Gedanken gemacht. Aber hatte er sich dabei geändert? Hatte er sich entwickelt?
Immer noch hatte er dieselbe Angst vor Wasser, immer noch trug er den Mädchennamen seiner Mutter zum Schutz vor jemandem, der niemals wieder freikommen würde. Immer noch drehte sich sein ganzes Leben darum, nicht so zu werden wie er. Und immer noch log er, wenn irgendwer versuchte, die Wahrheit herauszufinden.
Er dachte an all die Momente, die er in diesem Raum verbracht hatte. Anne, wie sie stumm, eine Handbreit von ihm entfernt, an die Decke starrte. Anne, wie sie in seinem Drehstuhl saà und lachte. Anne, wie sie auf dem Bett stand und versuchte, die Risse in der Decke mit den Fingern nachzufahren. Anne, wie sie abends von der anderen Seite gegen die Wand klopfte. Anne, wie sie schlief. Anne, wie sie gähnte. Anne, wie sie redete. Anne, wie sie schwieg.
âHey, das ist mein Zimmer!â
Ein fast schwarzhaariger Junge mit fast schwarzen Fingernägeln drängte sich an ihm vorbei.
âWas machst du hier? Willst du was klauen?â
Fast schwarze Augen funkelten ihn böse an.
Simon wusste nicht, wie er es erklären sollte.
âDas war früher sein Zimmer.â, kam ihm seine beste Freundin zur Hilfe. Sie zog an seinem Ellenbogen und führte ihn aus dem Zimmer.
âSimon, können wir reden? Wegen gestern?â, fragte sie leise.
Er folgte ihr gehorsam in die Sitzecke im Flur.
âReden, wegen was? Ich muss gleich fahren...â, antwortete er zerstreut. Anne hielt ihm wortlos seinen Schal hin, den er in ihrem Zimmer vergessen hatte. Sie trug wieder das kurze Patchworkkleid, das jetzt ein riesiger Matschfleck zierte. Beinahe so ein riesiger Fleck, dass man hätte denken können, der Grundton des Kleides wäre braun gewesen.
âGestern, vor der Schaukel. Der...â Sie unterbrach sich und suchte nach Worten.
âFast-Kuss.â, murmelte sie dann, peinlich berührt und mit flammendem Gesicht.
âIch wollt dir nur nochmal sagen, das kommt nie wieder vor, okay?â
Er nickte langsam.
âOkay. Ich weiÃ. Du warst verwirrt wegen Mark. Keine Sorge, das hatte ich mir schon gedacht.â
Er lächelte leicht. Sie lächelte noch ein wenig leichter.
Ein Lächeln, wie ein Sonnenstrahl, der durch dicke, schwarze Gewitterwolken fiel. Und einen Regenbogen mitten im Unwetter heraufbeschwor.
Simon schüttelte die âpoetischenâ Gedanken aus seinem Kopf. Lieber Himmel, er brauchte eine Freundin!
2011
âWoran denkst du?â
Valerie begrüÃte ihn mit einem flüchtigen Kuss und stellte ihren tropfenden Regenschirm ins Treppenhaus, bevor sie an ihm vorbei in seine Wohnung trat und ihn an ihrer nassen Hand mit sich hinein zog.
âAch, an früher.â, winkte er ab und folgte ihr. Sie warf ihren roten Regenmantel über die Lehne der Couch und nahm die groÃe Klammer aus ihren hochgesteckten Haaren, die nun auf ihre Schultern fielen.
Unter ihrem Mantel war ein graues Wollkleid zum Vorschein gekommen, das knapp über den Knien endete.
âNass drauÃen.â, stellte sie fest und lachte. âAlso, warum hast du mich angerufen?â
Sie schüttelte die dunklen Peeptoes ab, die wie erwartet in den Himmel zu reichen schienen, und tapste auf Zehenspitzen über die alten Holzdielen, um ihre schwarze Strumpfhose nicht zu gefährden. Sie hinterlieà nasse Spuren.
âImmer hau ich mir da Splitter rein.â, murmelte sie, um dann laut wieder zum Thema zurück zu kommen:
âSag schon, was ist los?â
Simon war ein wenig überfordert von ihrer sprühenden Energie. Ja, er kannte sie inzwischen, wusste ja, dass sie so hereinstürmen würde, ganz besonders um aus dem Mistwetter da drauÃen wegzukommen... Aber doch wusste er schon wieder nicht, was er eigentlich gewollt hatte. Wieso hatte er sie angerufen? Was wollte er ihr sagen? Wollte er sich wirklich von ihr trennen? Und vor allem... warum?
Diese Beziehung war ihm schon von Anfang an nicht geheuer gewesen. Hatte er sie gewollt? Ja, schon. Irgendwie. Eben wie alle Freundinnen, die er irgendwann mal gehabt hatte, und vielleicht sogar ein bisschen mehr.
Aber dann war da noch die Sache mit seinem Vater. Diese Sache, die in seinem Blut lag, die er eigentlich nicht verschweigen durfte. Dass er möglicherweise genau so werden könnte wie sein Vater, ein Betrüger, ein Verbrecher, ein Mörder. Das kam ihm einfach nicht über die Lippen. Und genau das war es, weshalb ausgerechnet er nicht so einfach in Beziehungen hereinschlittern sollte: Weil er dann einfach nie die Wahrheit sagte, aus Angst, etwas zu verlieren.
Selbst Anne hatte er es nie gesagt und sie damit beinahe verloren. Noch einmal so lange warten, das konnte er nicht. Heute war also der Tag. Der Tag an dem er sich entweder von Valerie trennen würde, oder aber der Tag, an dem er ihr alles von sich erzählen würde.
âHey, Simon. Mach nicht so ein Gesicht. Was ist denn jetzt los? Soll ich uns erst einmal 'nen Tee machen?â
Sie schob ihre kalte Hand in seine und sah ihn aus groÃen Augen an. Was auch immer er vorhatte: Einfach würde es nicht werden.
âIch mach schon.â, sagte er leise und räusperte sich dann.
âZiehâ dir erst mal was Trockenes an. In meinem Schrank ist bestimmt auch noch âne Jogginghose von Anne.â
Er drehte sie sanft in Richtung Schlafzimmertür.
âHey, weiÃt du was? Lass dir Zeit, ich tauâ uns noch Gemüsesuppe auf.â, fiel ihm dann ein. Eine bessere Ausrede, um noch einmal über seine Möglichkeiten nachzudenken, fand er leider nicht.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schob er sie durch die Tür und verschwand dann in der Küche.
Mai 2008
âAnnie, wir müssen los.â, quengelte er.
Seelenruhig stand sie vor dem Spiegel. Sie tupfte mit einem Schwämmchen mühsam Farbe über ihre Narben und die âschrecklichen Augenringeâ, dann verschwand sie in einer Puderwolke.
Simon sah genervt auf seine Uhr.
âWir sind schon so spät dran!â, meckerte er.
Und sah ihr weiter gespannt zu. Gefühlte Stunden hatte sie schon damit verbracht, ihre Haare zu ordnen, ihr Gesicht so sauber zu schrubben, dass er schon fürchtete, es würde nichts mehr davon übrig bleiben. Aber er kannte das Ritual. Und wie.
Deutlich vernehmbar öffnete sie jetzt den Lippenstift, grinste den Spiegel an und begann Farbe auf den kaputten Lippen zu verteilen.
Dann zwinkerte sie dem Spiegel zu, als sähe sie dort nicht sich selbst, sondern ihren Traummann. Simon lächelte.
âKomm schon, Annie. Du siehst super aus.â
âJajaja...â, beruhigte sie ihn. Und drehte dem Spiegel dann endlich den Rücken zu.
2011
Valerie fuhr mit ihren Fingerspitzen über die handgeschriebenen Zeilen des schwarzen Notizbuches und las sich die Texte leise vor. Simon klapperte in der Küche mit Töpfen, aber sie ahnte, dass mehr dahinter steckte. Irgendetwas lieà ihn nicht los, aber sie schien absolut keine Hilfe zu sein. Also war sie hiergeblieben und hatte sich die vielen schwarzen Bücher vorgenommen â und war dabei völlig in seine Welt eingetaucht.
Sie sah zum einen diesen kleinen Jungen, der niemals so werden wollte, wie jemand, der unvorstellbares getan haben musste. Sein Vater? Ein Verwandter? Valerie wusste, dass Simon im Heim aufgewachsen war. Aber warum, das hatte er nicht gesagt.
War es das, was ihn heute so beschäftigte? Sie wusste nicht weiter. Was war, wenn er es nicht ansprach?
Und dann sah sie noch etwas anderes.
âValerie?â
Er klopfte an seine eigene Schlafzimmertür und fühlte sich dabei irgendwie merkwürdig. Als keine Antwort kam, schob er sie auf. Und sah Valerie dort sitzen, genau so, wie Anne dort gesessen hatte, als sie seine Gedichte gefunden hatte â nur ohne Tränen in den Augen. Immer noch trug sie ihre nasse Kleidung.
âNicht du auch noch...â, murmelte er.
Sie sah ihn an und Simon hatte das Gefühl, dass sie selbst nicht genau sagen konnte, was sie gerade dachte. Gleichzeitig traf ihn der kälteste und der wärmste Blick, den er je von ihr empfangen hatte.
âIch hoffe du bist in Therapie.â, sagte sie leise.
Simon nickte. Was sollte er anderes tun?
âWolltest du mir davon erzählen? Oder wolltest du was anderes?â
Er blinzelte, schluckte, sah sie unschlüssig an.
âOb du unsere Beziehung beenden wolltest, möchte ich wissen.â, sagte sie da, laut und deutlich, und hielt ihm ein Buch hin.
Wieder wusste er nicht, wie er reagieren sollte.
Sie verdrehte die Augen.
âAch Simon, das brauchen wir doch beide nicht. Du mit deiner gestörten Vergangenheit... und dann diese Gedichte...
Und ich, ich kann mir auch besseres vorstellen, als dir zu folgen wie ein kleines Hündchen.â
âDu denkst, DU folgst MIR wie ein kleines Hündchen?â
âDas war nicht das, was du aus diesem Gespräch entnehmen solltest.â
Sie tippte auf das Notizbuch.
âLiesâ die noch mal. Und bevor du die nächste Beziehung eingehst, überlegst du dir, ob du sowas auch über sie schreiben würdest.â
âValerie... Ich...â
âAch, du brauchst dich gar nicht zu entschuldigen. Dass das hier nichts wird, wusste ich doch auch von Anfang an.â
Sie biss sich auf die Lippe, griff zu seinem Festnetztelefon und suchte Annes Nummer im Telefonbuch.
âGrüà sie von mir.â, sagte sie noch, dann drückte sie ihm das Telefon in die Hand, schnappte Schuhe und Mantel und verschwand.
Aus dem Telefon ertönte das Freizeichen, als Simon es ans Ohr hielt. Aber niemand nahm ab.
*
âUnd dann bist du einfach hergekommen?â
Anne starrte ihren Besuch mit dem dunkelhaarigen Lockenkopf entgeistert an.
âMark, das ist doch superteuer! Und du musst doch arbeiten!â
âIch hab gekündigt.Der neue Job geht schlieÃlich bald los. Und dann hab ich ihr eine Nachricht hinterlassen. Und sie hat sich nicht gemeldet. Und dann bin ich hergekommen.â, wiederholte dieser noch einmal seinen Besuchsgrund.
âWas für eine Nachricht?â
Das Telefon klingelte laut und eindringlich. Anne nickte ihm zu, als Zeichen, dies zu ignorieren.
â'Hey Marlijn, du weiÃt ja schon, dass ich umziehen werde â wegen des Jobs â aber ich hab in letzter Zeit viel an dich gedacht. Will Dich nicht verlieren' â blabla â 'liebe Dich' â laber, Rhabarber â und dann eben ob sie mich noch heiraten will und so... Warum guckst du jetzt so verstört?â